Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 573

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-6/seite/573

„Das Gesetz über die Gosudarstwennaja Duma vom 6. August befriedigt keineswegs die klar ausgesprochenen Wünsche der russischen öffentlichen Meinung und ändert nichts an der polizei-bürokratischen Ordnung Rußlands. Außerdem besitzt die russische Gesellschaft nicht die elementaren Menschen- und Bürgerrechte, wie z. B. die Freiheit des Wortes, der Presse etc. Unter solchen Bedingungen wird eine Volksvertretung nicht imstande sein zu existieren und wird nur als der Schatten einer solchen erscheinen. Deshalb protestiert die Semstwo-Versammlung gegen das Gesetz vom 6. August.

Die in die Reichsduma entsandten Delegierten dürfen nur ein Ziel verfolgen: Umwandlung der Duma selbst auf Grund des allgemeinen, ohne Unterschied des Geschlechts, der Nationalität und der Konfession ausgeübten direkten, gleichen und geheimen Wahlrechts, die Verleihung der gesetzgeberischen Macht an die Duma sowie der Kontrolle über die Tätigkeit der Regierungsorgane.

Wobei nicht überflüssig ist zu bemerken, daß die Bezirkssemstwos im Vergleich zu den Gouvernementssemstwos weniger fortschrittlich sind.

So bietet Rußland nach der Tragödie in Ostasien[1] jetzt das begeisternde Schauspiel eines heldenhaften Freiheitskampfes! Mögen die westeuropäischen Knutenfreunde die große historische Lehre dieser Kämpfe nicht in den Wind schlagen!

Ausdehnung der Ausstandsbewegung

Petersburg, 25. Oktober. Die Ausstandsbewegung hat sich weiter ausgedehnt. Die Lage wird immer bedenklicher. Moskau und Petersburg sind vollständig abgeschlossen. Der englische Gesandte, der heute abreisen wollte, mußte seine Abreise verschieben und wird mit dem ersten abgehenden Dampfer Rußland verlassen. Seine Reise steht in Zusammenhang mit dem englisch-russischen Abkommen. Der Gesandte wird in London längeren Aufenthalt nehmen, um die Einzelheiten des Abkommens mit seiner Regierung durch zu beraten. Der russische Gesandte in London kehrt zum gleichen Zweck auf einige Zeit nach Rußland zurück.

Petersburg, 25. Oktober. Die ausständigen Eisenbahner beginnen die Arbeiter der Linien, auf denen der Betrieb noch nicht ruht, ebenfalls zum Niederlegen der Arbeit zu veranlassen. Es wurde eine große Anzahl von Sanitätszügen, die vom Kriegsschauplatz kamen, angehalten. In Jekaterinoslaw herrscht offener Aufruhr. Die Bevölkerung errichtete Barrikaden, die von den Kosaken gestürmt wurden. Viele Personen wurden durch die Salven der Kosaken getötet und verletzt, doch ist die Zahl der Opfer unbekannt.

Warschau, 25. Oktober. Die revolutionäre Partei agitiert für die sofortige Einstellung der Arbeit in sämtlichen Fabriken in Warschau und Łódź. Die polnischen National-Demokraten warnen vor gewalttätigen Ausschreitungen.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 251 vom 26. Oktober 1905.

Nächste Seite »



[1] Gemeint ist die Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg, siehe S. 501, Fußnote 2.