Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 560

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mokraten vorgegangen waren, da haben die bürgerlichen Parteien es durchgesetzt, daß nicht mehr alle drei, sondern alle fünf Jahre gewählt wird. Die Essener Wähler sind nun in der günstigen Lage, schon zwei Jahre nach den üblichen Reichstagswahlen abermals ihre Stimme zu erheben und bei dieser Wahl durch die Abstimmung zu zeigen, daß die zwei Jahre nach der Wahl nicht umsonst an ihnen vorüber gegangen sind. Bei der Stichwahl handelt es sich darum, ob Sie einen Zentrumsmann oder einen Sozialdemokraten in den Reichstag schicken wollen. Die Wahl ist ausnahmsweise leicht und wenn Sie wollen, daß wir uns Rechenschaft ablegen, darüber, daß einzig der sozialdemokratische Kandidat berufen ist, den Kreis zu vertreten, so brauchen wir nur einen Blick auf die Tätigkeit des Reichstages zu werfen

Die Zentrumspartei ist die stärkste Partei und bildet im Reichstage das Zünglein an der Waage. Ohne die Zustimmung dieser Partei kann kein Gesetz geschaffen werden. Die Zentrumspartei ist daher für alles verantwortlich, was im Reichstage geschieht. In diesem Augenblick befinden wir uns in der günstigen Lage, ein ganz abgerundetes Bild über die Tätigkeit des Reichstages zu haben. Werte Anwesende, man wirft uns vor, daß wir den Haß und die Unzufriedenheit schüren. Nicht wir schüren den Hass, nicht wir säen ihn über Unzufriedensein, unsere Aussaat ist es, dem Arbeiter den Spiegel vor die Augen zu halten über die Vorgänge, die sich in Deutschland abspielen: den Schluß haben die Arbeiter selbst zu ziehen. Wir haben nichts nötig, als ihnen die Augen zu öffnen, und dazu benutzen wir in erster Linie die Reichstagstribüne.

Ich will jetzt übergehen zu den Taten des Deutschen Reichstags und seiner Leitung, dem Zentrum. Man kann sich keine richtige Vorstellung machen von dem wahnsinnigen Tempo, in dem Deutschland sein Militär und seine Marine vergrößert. Im Jahre 1887 betrug die jährliche Ausgabe für das Militär 372 Millionen Mark. Wäre dieses Geld der Volksschule und ihren Lehrern zugute gekommen, so hätten wir viel mehr Sonnenlicht in den Köpfen der Arbeiter, als es heute der Fall ist. Nun erst beginnt die Epoche, für die das Zentrum verantwortlich ist. Bis 1897 wehrte sich das Zentrum gegen alle Ausgaben. Dank der Zentrumspartei stiegen die Ausgaben für Heer und Marine im Jahre 1897 auf 846 Millionen Mark. Nunmehr beziffert sich die Ausgabe für obige Zwecke dank dem Zentrum auf über eine Milliarde. Fährt die Zentrumspartei Arm in Arm mit der Regierung in dieser Weise fort, so wird es dahin kommen, daß jeder dritte Mann im Deutschen Reiche im Militärrock steckt und die übrigen zwei Drittel werden dann überhaupt keine Hose mehr anzuziehen haben. Der Militarismus bei uns in Deutschland wächst zwei Mal schneller als die Bevölkerung. Die Begründung, durch diese Ausgaben unser Land vor dem Feinde zu schützen, ist als ein Spott auf die Menschheit anzusehen. Für uns haben diese Ausgaben

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