Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 558

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Die Vertreter der deutschen Sozialdemokratie haben gegen den Schurkenstreich, gegen die Verletzung des Rechts Einspruch erhoben: Sie haben an den Kanzler des Deutschen Reiches die Forderung gerichtet, daß er für das Recht Kasprzaks eintrete, daß er den Justizmord an einem deutschen Reichsbürger verhindere.[1]* Kasprzak ist nicht verurteilt, er ist gemordet, weil das Gesetz mit Füßen getreten ward. Fürst Bülow hat seine Pflicht nicht erfüllt, hat nichts getan, um den Justizmord zu verhindern. Er hat sich zum Mitschuldigen des Zarismus gemacht.

Über dem Opfer des Zaren hat sich das Grab geschlossen. Ein großes, edles Herz hat aufgehört zu schlagen. In dem dankbaren Herzen der Proletarier wird der Name des Helden unvergessen bleiben – Marcin Kasprzak.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 210 vom 11. September 1905.

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[1] * Im Laufe des gestrigen Tages haben die in Berlin anwesenden Mitglieder des sozialdemokratischen Parteivorstandes zugunsten Kasprzaks die Vermittlung des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amtes angerufen. Das an den Reichskanzler abgeschickte Telegramm lautet folgendermaßen:

An den Herrn Reichskanzler Fürsten von Bülow, Baden-Baden.

Am 1. September 1905 wurde in Warschau der preußische Staatsangehörige Kasprzak zum Tode verurteilt. Gegen das Urteil haben die Verteidiger des Verurteilten das Rechtsmittel der Kassation eingelegt. Der Kassationshof residiert in Petersburg. Gestützt auf den Kriegszustand in Warschau hat der Herr Generalgouverneur die Absendung der Kassationsbegründung inhibiert. Dieses Verbot ist eine Verweigerung der dem Verurteilten zustehenden Rechtsmittel. Die Unterzeichneten ersuchen den Herrn Reichskanzler bzw. das Auswärtige Amt in Rücksicht auf die Kürze der Zeit unverzüglich bei der russischen Regierung das Verlangen zu stellen, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen und dem Verurteilten die ihm zustehenden Rechtsmittel zugängig zu machen. Ein gleiches Telegramm ist an den Herrn Staatsekretär des Auswärtigen Amtes abgegangen.

Um Antwort ersuchen die Mitglieder des Reichstages Auer, Gerisch, Molkenbuhr, Pfannkuch, Singer, Lindenstraße 60.