Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 552

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aber die Arbeiter waren gut gedeckt und haben keine Verluste erlitten. Schließlich zogen sich die Arbeiter über die Dächer und Hintermauern zurück. Um 7 Uhr waren die Häuser von dem Heere „genommen“ worden, es hat aber in der „Festung“ niemand und nichts mehr gefunden.

In der Mittelstraße hat das Volk das Straßenpflaster aufgerissen und große Haufen aufgetürmt, um die Attacken der Soldateska abzuwehren.

Es ist bedeutsam, daß meistens zum direkten Kampf mit dem Volk Kosaken gebraucht werden. Die Infanterie steht meistens nur da als Schutzwehr, ist aber wenig tätig. Es scheint, daß man glaubt, auf die Infanterie sei wenig Verlaß. In der Tat sind gestern und heute mehrere Fälle vorgekommen, wo kleinere Gruppen von Soldaten mit den Arbeitern fraternisierten. Ein Offizier in der Petrikauerstraße, unweit der Andreasstraße führte seine Abteilung Soldaten weg und sagte laut zu den Arbeitern: „Fürchtet nichts, ich lasse nicht schießen.“

Morgen (23.) werden wir wahrscheinlich heiße Kämpfe haben. Es hat den Anschein, daß die hiesigen Behörden den Befehl erhalten haben, die Erhebung zu ersticken; die Arbeiterschaft ist aber so kampflustig und erregt, daß es ohne hartnäckige Kämpfe nicht abgehen wird.

In dem hiesigen „Goniec Łódźki“ [Łódźer Bote] ist heute ein nichtswürdiger Artikel erschienen, worin die Schuld der Arbeiterschaft gegeben wird, die angeblich gestern während der Demonstration zuerst geschossen hätte. Diese erbärmliche Lüge soll offenbar durch offiziösen Draht ins Ausland kolportiert werden. Darum muß noch einmal wiederholt werden: Die Arbeiterschaft hat bis jetzt nicht einen einzigen unbesonnenen Schritt getan, nicht einer Provokation sich schuldig gemacht! Das Volk verteidigt sich nur vor den Mordgesellen.

Łódź, 22. Juni, 12 Uhr nachts. (Eig. Ber.) In der Ost- und der Südstraße dauert der Kampf auf den Barrikaden ununterbrochen fort. Die beiden Straßen sind von Infanterie und Kavallerie umzingelt. Auch Artillerie ist bereits da. In dieser Gegend sind alle Laternen zerschlagen worden, so daß völlige Dunkelheit herrscht. In der ganzen Stadt wird aus Revolvern auf die Polizei und die Offiziere geschossen. Wir brauchen dringend Hilfe, die Revolution ist da.

Vorwärts (Berlin),

Nr. 146 vom 25. Juni 1905.

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