Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 550

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In der grauenvollen Kette dieser Heldentaten des Zarismus fügt sich als eine der furchtbarsten die mehrtägige Straßenschlacht in Łódź ein. Wir haben den Anlaß zu diesen Schreckenstaten gestern geschildert.[1] Ein friedlich demonstrierendes Proletariat, das den Opfern mordender Kosaken die letzte Ehre erweisen will, wird in enge Gassen hineingelockt und dann niederkartätscht.

Mit einem bewunderungswürdigen Heldenmut, der den Namen des russischen Volkes ebenso ehrwürdig für die Kulturwelt macht, wie die Schande der herrschenden Sippe den Namen Rußlands mit Fluch bedeckt, hat das Proletariat von Łódź den Versuch unternommen, sich gegen die Bestien des Zaren zur Wehr zu setzen. Nicht mehr waffenlos – das ist der Fortschritt der revolutionären Bewegung – will man sich ausliefern. Mit einer großartigen Hintansetzung des Lebens hat das Proletariat für seine Freiheit und Ehre gestritten. Noch sind über die Einzelheiten und über die Aussichten des seit Donnerstag in den Straßen von Łódź tobenden Kampfes, dieser förmlichen Barrikadenschlacht, nichts Eingehendes und Zuverlässiges bekannt. Aber selbst das offizielle Telegraphenbüro läßt das Maß des Entsetzlichen ahnen, das in diesen Tagen in der großen Industriestadt Russisch-Polens sich gehäuft hat. Schätzt doch selbst dieses Telegramm die Zahl der Opfer auf 2000!

Auch in Warschau ist der Generalstreik proklamiert worden, ohne daß bisher von Zusammenstößen berichtet wird.

Die zivilisierte Welt betrachtet ruhig diese Schrecken und Greuel. Niemand hilft den edlen Freiheitskämpfern des russischen Volkes gegen die brutale Übermacht der bewaffneten Horden des Zaren. Aber das internationale Proletariat glaubt so fest an die Zukunft der Freiheit und an den endlichen Sieg des Menschlichen im Menschengeschlecht, daß es niemals den Gedanken fassen wird, als ob diese ungeheuren Opfer vergebens sein könnten.

Noch tun die Offiziere in Polen das, wogegen jüngst die Petersburger Offiziere protestierten: Sie arbeiten noch als Henkersknechte gegen die Gesellschaft! Aber die Zeit muß kommen, wo niemand mehr Henkersknecht sein will!

Der Beginn der Barrikadenkämpfe

Über die Vorgänge der letzten Tage, die bis an die letzten Kämpfe heranreichen, sie aber noch nicht darstellen, erhalten wir folgende Mitteilungen: Łódź, 22. Juni, 10 Uhr abends. (Eig. Ber.) Bei uns ist Revolution! Kaum ist man imstande, einen Bericht zu verfassen, so rasch überstürzen sich die Ereignisse. Außerdem sind alle Agitatoren Tag und Nacht auf den Beinen und man kann die Nachrichten aus verschiedenen Stadtteilen schwer sammeln.

Vor allem noch zwei Worte über die gestrige Schlächterei. Der Fahnenträger der Sozialdemokratie ist gefallen als einer der ersten, hielt sich aber wie ein wahrer Held:

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[1] Siehe S. 546 ff.