Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 518

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liche Allianz des offiziellen Deutschlands mit dem russischen Knutenregiment aller Welt zu zeigen: die deutschen Gerichte degradiert zu einer Exekutivbehörde der russischen Polizei, die deutschen Hochschulen zu Tummelplätzen russischer Spitzel, die deutschen Zollämter zu Unterabteilungen der russischen Gendarmerie, die Herren Minister Schönstedt und Hammerstein zu Kommisären des russischen Zarenregiments. Es war, wie der Dichter Sallet einst gesungen hat:

Und wenn wir mit zerbrochnem Nacken

Das Joch geschleppt, jahraus, jahrein,

Und rücken endlich die Kosaken

Und die Baschkieren bei uns ein:

Dann heißt’s ächtdeutsch illuminieren

Wo sich nur sehn läßt der Barbar;

Im Transparent, das Blumen zieren,

Steht: Vivat unser Gott, der Zar![1]

Damals stand vor der ganzen Welt das offizielle Deutschland der furchtbaren Lächerlichkeit und Demütigung preisgegeben, so daß sogar wir „vaterlandslosen“ Gesellen über die deutsche Schmach erröten mußten. Und wie verhielt sich damals der deutsche Liberalismus, die deutsche öffentliche Meinung? Es erhob sich keine einzige Stimme der Entrüstung; damals war die Sozialdemokratie die einzige Partei, die den Mut hatte, überall auf diese Schmach und Selbstentmannung hinzuweisen. Freilich als der Königsberger Prozeß der deutschen Reaktion nur eine bodenlose Erniedrigung seiner eignen Urheber gebracht hatte, als diese neue Auflage der heiligen Allianz zusammenbrechen mußte, hat der deutsche Liberalismus das Wort gefunden. Und jenes Verhalten der deutschen Liberalen, der deutschen Bourgeoisie im Königsberger Prozeß hat sich auch jetzt wieder bei der russischen Revolution gezeigt. Auf den ersten Blick möchte man fast erstaunt sein, wenn man so viele scharfe Kritik des Zarismus liest. Aber jeder Kenner der bürgerlichen Psychologie weiß sehr gut, daß hier nichts andres vorliegt als einfach eine Enttäuschung über die dem Zarismus bereitete Niederlage. Solange der Zarismus als eine zuverlässige Schutztruppe der Reaktion erschien, solange war der Liberalismus zu jeder Preisgabe seiner Würde bereit, und erst als es sich zeigte, daß dieser starke Koloß tatsächlich auf sehr schwachen Füßen stehe, war auch der deutsche Liberalismus bereit zur Entrüstung. Aber auch jetzt noch findet man, wenn man diese Kritiken verfolgt, das Bedauern über die Niederlage

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[1] Friedrich von Sallet: Ächtes Deutschtum. In: ders.: Gesammelte Schriften, Leipzig 1872, S. 259 f.; auch in: Friedrich von Sallet: Gesammelte Gedichte, Leipzig 1890, S. 259 f.; außerdem in: Der deutsche Vormärz. Texte und Dokumente. Hrsg. von Jost Hermand, Stuttgart 1967, S. 101 f.