Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 515

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„Um so besser“, sagen die Arbeiter. „Zahl uns 4 Schilling, den Preis unserer Ware, oder zahl uns 24 Schilling, da wir pro Woche rechnen wollen. Aber zieh davon 3 Prozent Jahreszins für 14 Tage ab.“

„Aber“, sagt der Kapitalist, „dieser Wechsel ist zu klein. Kein Bankier wird ihn diskontieren.“

„Schön“, erwidern die Arbeiter. „Wir sind 100 Mann. Du hast uns also 2400 Schilling zu zahlen. Gib uns dafür einen Wechsel, 20 Pfund Sterling, das ist keine zu kleine Summe, um diskontiert zu werden. Überdies diskontierst du sie selbst, und da kann die Summe nicht zu klein für dich sein, denn sie ist die gleiche Summe, von der du angeblich deinen Profit aus uns ziehst. Der Abzug wäre nicht nennenswert. Und da wir so den größeren Teil unseres Produkts ganz erhalten, wären wir bald soweit, daß wir deiner Diskontos nicht mehr bedürften.“[1]

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Die Leser werden nun vielleicht sagen: Dieser Dialog sei doch nur eine literarische Spielerei. Wo führen denn die Kapitalisten solche Zwiegespräche mit den Arbeitern, und welche Arbeiter verstehen so wissenschaftlich alle Kreuz- und Querzüge des profitmachenden Kapitalisten zu parieren?

In Wirklichkeit ist diese dramatische Darstellung der Theorie von der Entstehung des Kapitalprofits bei Marx, wie alle seine Darstellungsformen, viel mehr als ein literarischer Kunstgriff und von tiefer Bedeutung. Der hier hingeworfene lebendige Dialog zwischen dem Kapital und der Arbeit findet wirklich statt. Nur muß man da nicht an einen bestimmten einzelnen Kapitalisten und an bestimmte Arbeiter einer Fabrik denken. Wir leben in einer Zeit der weitgehendsten sozialen Arbeitsteilung und – vergessen wir nicht – Zeit ist Geld! Sie ist es vor allem für den Kapitalisten. Das heißt nicht seine Zeit, wohl aber die Zeit seiner Arbeiter, die ihm Geld einbringt. Für theoretische Auseinandersetzungen mit „seinen“ Arbeitern in der Fabrik hat der Kapitalist keinen Kopf und keine Zeit: Sie kommen in die Werkstatt, um für ihn den Profit zu machen, nicht um darüber zu schwatzen. Dafür hat aber der Kapitalist seine besonderen Beauftragten, die ihm die Mühe des Hinwegschwatzens der Ausbeutung abnehmen, indem sie es als ein spezielles Metier mit der nötigen Gründlichkeit betreiben und für diese Arbeit auf Anweisung des Kapitalisten vom Staate einen regelmäßigen Lohn beziehen. Diese Sorte Leute heißen Professoren der Nationalökonomie. Was Marx hier dem Kapitalisten in den Mund gelegt hat, das reden und schreiben jahraus jahrein mit geläufigen Zungen und glatten Federn mehrere Dutzend deutscher Professoren ins Land hinein, indem sie zur Vertuschung der Erkenntnis des Proletariats über die kapitalistische Ausbeutung eine Reihe schöner Theorien entwickeln:

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[1] Von Rosa Luxemburg zitiert nach Theorien über den Mehrwert, Kautsky-Ausgabe, Bd. 1, S. 119–124. In: MEW, Bd. 26, Erster Teil, S. 292–296.