Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 495

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haftet am 21. Februar 1903 als erster von der Gruppe, und zwar festgenommen unter sonst für ihn ziemlich günstigen Verhältnissen – man hat bei ihm nur etwas Literatur der Sozialistischen Revolutionären Partei[1] gefunden, und tatsächlich war er an keinem Attentat beteiligt – begann jedoch sofort die eingehendsten und ausführlichsten Angaben über seine Genossen zu machen, machte alle seine Bekanntschaften namhaft, schilderte mit allen Details die Zusammenkünfte, Gespräche, erkannte die Genossen in den ihm von den Gendarmen vorgelegten Photographien, mit einem Worte: verriet absolut alles, was er wußte, offenbar in der Hoffnung, sich selbst durch die Aufopferung der Genossen die Gnade der Gendarmerie und des Gerichts zu erkaufen. Er war darin noch von seiner Frau, einer Jurkowskaja, aufs beste unterstützt, deren Bruder, also den eignen Schwager, der reumütige Sünder zum Überfluß auch den Gendarmen denunzierte. (Übrigens sind Jurkowskaja und ihr Bruder in diesem Prozeß nicht mit angeklagt worden.) Die Geständnisse der beiden sind denn auch für die Melnikow, Remjannikowa, vor allem aber für Gerschuni verhängnisvoll geworden. Melnikow war zwar bereits vor der Verhaftung Grigorjews, am 8. Februar 1903, jedoch unter einem falschen Namen festgenommen worden, so daß die Polizei über seine Persönlichkeit noch nicht im Klaren war und erst durch die Aussagen Grigorjews in seine ganze Tätigkeit Einblick gewann. Die Remjannikowa aber und Gerschuni sind direkt auf Grund der Angaben Grigorjews am 25. Februar resp. 26. Mai 1903 verhaftet worden.

Der Schreiner Katschura, der in diesem Prozeß als zweiter Belastungszeuge fungierte, war für sein Attentat auf den Fürsten Obolenski bereits am 8. November 1902 zum Tode verurteilt und dann „auf Verwendung des Fürsten Obolenski“ zur Zwangsarbeit begnadigt worden. Während der Untersuchungshaft sowie vor dem Gericht trat Katschura seiner Zeit mit großer Festigkeit auf, und sein Abschiedsbrief an die Genossen, in dem er seine Ansichten über den Terrorismus und die Motive seiner Tat darlegt, hat seinerzeit in revolutionären Kreisen, auch auf diejenigen, die seine Selbstbekenntnisse in politischer Hinsicht unreif finden mußten, tiefen Eindruck gemacht. „Ich bin“, schrieb Katschura, „der Organisation der Terroristen beigetreten, weil ich überzeugt bin, daß es ihr gelingen wird, die Regierung davon abzugewöhnen, uns mit der Knute und mit rauer Faust zu bekämpfen. Ich bin überzeugt, daß es ihr gelingen wird, der Arbeiterbewegung wie der Bauernbewegung freien Spielraum zu erringen. Für einen solchen Zweck ist kein Opfer zu groß, und wenn mein Leben dafür erforderlich ist, so schätze ich mich glücklich, es für eine so heilige Sache hergeben zu dürfen.“ Der Mann, der diese Worte schrieb, wurde offenbar bald darauf in dem schweren Kerker von den Schergen der Zarenregierung soweit zermürbt, daß er im Juli vorigen Jahres bereit war – wenn man der Anklageschrift Glauben schenken will –, ein reumütiges Bekenntnis abzulegen und gab nun alles, was er wußte, an, wobei er seine Ge

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[1] Die 1901/1902 entstandene Partei der Sozialrevolutionäre vertrat die Interessen des Kleinbauerntums und hatte die Beseitigung des Zarismus und eine demokratische Republik zum Ziel. Zu ihren Kampfmitteln gehörten terroristische Anschläge. Später spaltete sie sich in einen linken und rechten Flügel.