Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 479

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einzigen Abend 45 Mark für Sekt und gute Zigarren aus. Aber für eine Arbeiterfamilie sind 45 Mark von Bedeutung, denn sie müssen sauer verdient werden. („Bravo.“)

Es ist nicht nur das Brot, das uns verteuert ist, sondern auch alle übrigen Lebensmittel sind mit neuem schweren Zoll belegt. Früher ist ja auch Zoll darauf gewesen, aber er ist noch lange nichts gegen den jetzigen. Früher zahlte man für eine Kuh neun Mark, von nun an 81 Mark; für einen Stier dasselbe, für einen Ochsen 35 Mark, jetzt 135 Mark. (Zuruf: „Noch nicht genug!“) Schafe früher eine Mark, jetzt neun Mark; Schweine früher sechs Mark, jetzt 27 Mark. Sogar der Käse ist mit Steuern belegt. Sogar die Kartoffeln und der Hering, die Hauptnahrung des Arbeiters, werden mit Zoll belegt. Eine indirekte Steuer war bis jetzt stets in größerem Umfange. Wenn Sie für ein Pfund Salz 10 Pfennig zahlten, so wußten Sie nicht und konnten sich nicht denken, daß davon sechs Pfennig Steuer seien. Wenn Sie eine Zigarre kaufen, so wissen Sie nicht, daß darauf ein oder zwei Pfennig Steuer ruhen. Sogar durch den Branntwein, welchen die Arbeiter trinken, werden den Schnapsbrennern Unsummen in die Tasche gearbeitet. Es gibt förmlich kein Nahrungsmittel mehr, von dem der Arbeiter nicht einen Tribut an die Großgrundbesitzer zahlt. Die deutsche Reichsregierung hat es übernommen, für die Arbeitgeber, die ja ohnehin zu den reichsten Klassen Deutschlands gehören, die ohnehin schon nicht mehr wissen, wohin sie mit ihren Unsummen sollen, immer mehr zu sorgen. Der Deutsche Reichstag handelt nach dem Dichterwort Heines: Wer viel hat, der wird bald mehr haben, wer wenig hat, dem wird das Wenige genommen und wer gar nichts hat, der kann sich begraben lassen.[1] Wenn man ihre (der Reichsregierung) Worte hörte, so habe sie das Wohl des deutschen Bauern im Auge gehabt. Es sollte der Not der Landwirtschaft abgeholfen werden. In Wirklichkeit ist dies nicht der Fall. Doch wer sind die Notleidenden, sind es wirklich die deutschen Bauern, die sich von ihrem kleinen Anwesen doch ernähren können. Es ist ja bekannt, daß der größte Teil – 75 Prozent – aller Bauern so gestellt ist, daß er nicht sein eigenes Brot baut, sondern noch Getreide zum eigenen Lebensunterhalt kaufen und dafür, aus Rücksicht auf den Bauernstand, den hohen Zoll zahlen muß. Der größte Teil der Bauern muß auf seiner kleinen Scholle darben und baut soviel, daß es zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel ist. Es ist nachgewiesen worden, daß von den unge

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[1] Inhaltlich angelehnt an Heinrich Heines Gedicht „Weltlauf“, in dem es heißt:

„Hat man viel, so wird man bald

Noch viel mehr dazubekommen.

Wer nur wenig hat, dem wird

Auch das wenige genommen.

Wenn du aber gar nichts hast,

Ach, so lasse dich begraben –

Denn ein Recht zum Leben, Lump,

Haben nur, die etwas haben.“

Heinrich Heine: Werke und Briefe, Bd. 2, Berlin und Weimar 1980, S. 108.