Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 454

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Es ist übrigens nicht die erste peinliche Überraschung, die mir in meinem Verhältnis zur „L.V.“ bereitet wird. Sie werden sich wohl [an] die wechselvolle Geschichte unserer Beziehungen erinnern. Ich schluckte vieles geduldig herunter, weil mir nichts so in der Seele zuwider ist, wie Reibungen u. Krach – zumal mit einem Manne, den ich noch vor Tagen lange Zeit als meinen besten Freund betrachtete u. für dessen Frau ich tiefe Verehrung habe. Aber Ich will mich auch jetzt nicht etwa bei Ihnen über Dr. Mehring beschweren. Im Gegenteil, ich will Ihnen nur die ernsten schwerwiegenden Gründe zeigen, die [es] mir direkt unmöglich machen, meinem Vertrag nachzukommen.

Noch vor einigen Tagen hat mir Dr. Mehring die „Disposition“ geschrieben, daß ich von nun an alle Beiträge, ausgenommen eilige Fälle, nicht nach Leipzig, sondern nach Steglitz schicken soll e . Auch dies war für mich eine schier unannehmbare Lage. Denn bei den Postverbindungen zwischen Friedenau u. Steglitz, die nicht viel besser sind, als die zwischen Berlin u. Leipzig (alle Briefe gehen über Berlin) bedeutete dies, daß meine Beiträge regelmäßig erst am dritten Tag ins Blatt gelangen sollten. Nun verpflichtet mich aber mein Vertrag zur Lieferung von 600 bis 800 Zeilen Entrefilets u. Notizen monatlich. Wenn Leitartikel wohl oder übel eine Wartezeit von ein paar Tagen vertragen können, so müssen Entrefilets offenbar ganz aktuell sein u. sich auf frische Abendblätter stützen. Allerdings gehört bei der eigenartigen Einrichtung der Redaktion der „L.V.“ auch dazu vor allem eine Verständigung mit den anderen Kollegen, damit nicht von zwei Seiten dasselbe bearbeitet wird, u. da ich seit Monaten ohne die geringste Fühlung mit der Leipziger Redaktion u. mit Dr. Mehring bin, so mußte ich bis jetzt notgedrungen auch für Notizen weniger aktuelle Themata suchen. Aber die neue Disposition würde nun für mich zur Regel machen, daß ich weder die Berliner Abendblätter noch die französischen u. russischen für die nächste Nr. der „L.V.“ bearbeiten könnte. Das würde offenbar weder keineswegs die Aktualität u. Lebendigkeit des Blattes noch den Reiz der Mitarbeiterschaft an für mich vergrößern. Auch kann ich mir nicht vorstellen, daß alle anderen Mitarbeiter: Blos, Kritschewski, Calwer etc. nach Steglitz statt nach L[eipzig] ihre Beiträge schicken, denn dies würde ja den Redaktionsbetrieb einfach lahmlegen.

Immerhin nahm ich auch diese Disposition Dr. Mehrings noch freundlich auf u. versprach, mich vom nächsten Monat auf sie einzurichten. Aber der neuste Fall mit dem meinem Polenartikel zeigt mir, daß ich in einer ohne meine geringste Schuld in immer schiefere Position bei der „L.V.“ gerate.

Sie wissen, daß ich nicht um des Geldes willen für die „L.V.“ schreibe, sondern um meinen Überzeugungen frei dienen zu können und dem Blatte zu nutzen. Wird aber die Mitarbeiterschaft für mich mit ganz unwürdigen u. unannehmbaren Bedingungen verbunden, dann hat kein Mensch das Recht, von mir zu verlangen, daß ich sie fortsetze.

Mit Dr. Mehring weiter durch schweigsames Nachgeben auszukommen, habe ich jede Hoffnung verloren. Ich wende mich nun an die Preßkommission u. bitte Sie

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