Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 453

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– in einer Weise von Dr. Mehring zusammengestrichen u. verstümmelt, daß ich niemals meine Zustimmung zu der Veröffentlichung gegeben haben würde, wenn ich befragt worden wäre.

Allerdings enthielt der Artikel, wie ich ihn geschrieben hatte, eine sachliche Kritik der Haltung des Parteivorstandes in der Polenfrage, aber dies war gerade der wohlerwogene politische Zweck des ganzen Artikels. Der Parteivorstand sollte zu öffentlichen Erklärungen provoziert werden, die eine Garantie für seine Haltung auf der bevorstehenden Konferenz mit den Nationalisten bieten würden. Dies aus zu streichen u. somit in meine politische Aktion mit ungeschickter Hand einz[u]greifen, hatte Dr. Mehring nicht das geringste Recht.

Es wäre auch lächerlich anzunehmen, daß er durch diese Amputationen am Inhalt des Artikels etwa den „guten Ton“ wahren wollte, denn Dr. Mehring ist ja als Gegner aller Zimperlichkeiten im Punkte des „Tons“ allgemein bekannt u. hatte selbst mehr wie einen Krach aus diesem Grunde. Auch pflegt er seine Gegner in der „L.V.“ durchaus nicht vom Standpunkte eines Hofzeremonienmeisters zu behandeln.

Notabene: Ich will hier ausdrücklich hervorheben, daß ich nicht etwa der Redaktion überhaupt das Recht des Dreinredens in die Beiträge der Mitarbeiter bestreiten will. Im Gegenteil, jede Redaktion hat das Recht, dem Mitarbeiter zu erklären, daß sie für dieses oder jenes die Verantwortlichkeit nicht übernehmen will. Aber dann hat sie die verdammte Pflicht u. Schuldigkeit, dies dem Mitarbeiter mitzuteilen. Auch die russische Zensur schickt das zusammengestrichene Manuskript dem Verfasser zurück, um es ihm anheimzustellen, ob die Veröffentlichung der verstümmelten Arbeit noch Wert für ihn besitzt. Unter Dr. Mehring hat das mein Manuskript hier in Steglitz gehabt, ganze zwei Seiten davon ruhig weggelassen, er benachrichtigte mich, daß er es nach L[eipzig] schickt u. erwähnte mit keiner Silbe die gründlichen Änderungen im politischen Sinne des Artikels!

Das ist eine Behandlung, die ich noch von keiner Redaktion, mit der ich zu tun hatte: weder vom „Vorwärts“ noch von der „L.V.“ zu Schoenlanks Zeiten, noch von der „Neuen Zeit“ je erfahren habe. Um so weniger hatte ich Grund, eine so durfte ich erwarten, mich wie einen Schuljungen von Jemand behandelt zu sehen, der mich noch vor nicht langer Zeit für die geeignetste Person für den Chefredakteurposten der „L.V.“ hielt.

Es handelt sich hier nicht etwa um journalistische Eitelkeit oder gekränkte Eigenliebe, sondern um die elementarsten Gebote der pers schriftstellerischen Selbstachtung. Nur ein Tintenkuli oder ein geistloser Zeilenreißer wird es sich ruhig gefallen lassen, daß man seine Geistesprodukte ganz ohne sein Vorwissen nach Belieben verstümmelt, niemals aber ein Schriftsteller, der vor allem politischer Charakter ist u. bleiben will. Und da Dr. Mehring besser wie sonst Jemand diese Sitten u. Gepflogenheiten der journalistischen Welt kennt, so kann ich seine Handlungsweise in diesem Falle nicht anders, denn als eine absichtliche Provokation auffassen.

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