Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 451

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alte Gehässigkeiten vergessen zu machen, anstatt durch frische Angriffe die Kluft zwischen unseren Genossen und dem polnischen Sonderbund zu erweitern.

Sodann heißt es auch sachlich eine Verständigung äußerst erschweren, wenn man den Beschluß des Münchener Parteitags gerade denjenigen Polen, auf die es ankommt, so schief darstellt, wie es in dem angeführten Artikel geschieht. Es wäre sehr zu bedauern, wenn die Genossen vom polnischen Sonderbund die Auffassung des „Naprzód“ annehmen würden, wonach die bisherige ablehnende Haltung der deutschen Sozialdemokratie gegenüber ihren separatistischen Nationalbestrebungen nur ein Ausfluß der persönlichen „Intrigen“ wäre. Im Gegenteil, es liegt im dringenden Interesse der Verständigung, die sonderorganisierten polnischen Genossen genau dahin zu informieren, daß die deutschen und polnischen Genossen der Gesamtpartei nach wie vor darin vollkommen einig sind, die Sonderorganisation wie ihre nationalistischen Tendenzen zu verurteilen, daß eine Einigung niemals auf dem Boden der bis jetzt von dem Sonderbund befolgten Taktik erzielt werden könne. Nach der Darstellung des „Naprzód“ müssen die Genossen von der „Polnischen sozialistischen Partei“ annehmen, daß nun die deutsche Sozialdemokratie die lange verkannte Berechtigung ihrer Taktik eingesehen und beschlossen hätte, ihnen einfach die Rechte zuzuerkennen, die sie ihnen in ihrer Verblendung bis jetzt verweigerte. Eine solche Darstellung der Münchener Verhandlungen geben, heißt indessen nichts anderes, als die polnischen Sonderbündler in bedauerlichster Weise irreführen und die ganze moralische Bedeutung der Debatte in München sowie insbesondere der Rede Bebels vernichten. Es ist klar, daß, wie sehr auch die in Posen und Oberschlesien arbeitenden Genossen den Frieden wünschen, sie niemals der Sanktionierung derselben unhaltbaren Zustände zustimmen werden, die ihnen jahrelang jede ersprießliche Tätigkeit erschwerten. Jedermann, der zu einer endgültigen Beilegung des bedauerlichen Zwistes aufrichtig beitragen will, muß deshalb gerade umgekehrt, wie dies der „Naprzód“ tut, unserem polnischen Sonderbund klar machen, daß für eine Verständigung vor allem ausreichende, solide Garantien notwendig sind, daß weder in dem polnischen Parteiblatt noch in der Agitation die schädlichen nationalistischen Tendenzen weiter wirken würden.

Endlich ist es unschön und unklug vom „Naprzód“, daß er die alte Taktik befolgt, von einem Zwist und einer Versöhnung zwischen „Deutschen“ und „Polen“ zu reden und den gesamten polnischen Genossen von Posen und Oberschlesien zur Strafe für ihre Zugehörigkeit zur Gesamtpartei das Polentum abzusprechen. Die polnischen Genossen vom Sonderbund dürften sich doch darüber klar sein, daß ihre Verständigung mit der deutschen Sozialdemokratie niemals über die Köpfe der polnischen Mitglieder der Sozialdemokratie hinweg zustande kommen kann. Im Gegenteil, es handelt sich für sie in erster Linie um eine Einigung mit den polnischen Genossen in Posen und in Oberschlesien, denn niemand wird bezweifeln, daß die Schaffung von zweierlei getrennten Organisationen polnischer Genossen im Rahmen der Gesamtpartei die trau

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