Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 450

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Posener Genossen, die als „Deutsche“ von der Liste des Polentums gestrichen werden, wird hier der Beschluß des Münchener Parteitags folgendermaßen gedeutet:[1]

Aber es ist anders gekommen (als die polnischen und deutschen „Intriganten“ wollten). Der beiderseitige aufrichtige Wunsch, Frieden zu schließen, hat über die gewissenlosen Intrigen einzelner obgesiegt. Den deutschen Sozialisten, die früher häufig durch Leichtgläubigkeit sündigten, wurde endlich der Star gestochen. Sowohl der Genosse Auer wie Bebel haben zugegeben, daß von beiden Seiten Fehler gemacht worden sind, der Frau Luxemburg aber hat Genosse Ledebour die Anklage ins Gesicht geschleudert, daß sie seit Jahren systematisch den Unfrieden anstiftet und der Genosse Auer hat ihr bewiesen, daß sie zum Zwecke der Erbitterung der deutschen Genossen die Worte unseres Genossen Haase[2] gefälscht hätte, der sich nicht verteidigen kann, weil er im Gefängnis sitzt.[3]*

Was aber das wichtigste ist, in dem Artikel wird der erste grundlegende Teil der vom Parteitag angenommenen Polenresolution, der die polnische Sonderorganisation und ihre nationalistischen Bestrebungen verurteilt, gänzlich verschwiegen.

Wir können nicht umhin zu bemerken, daß ein solches Vorgehen des in den nationalistisch-polnischen Kreisen der Genossen sehr einflußreichen „Naprzód“ in diesem Augenblick ebenso wenig loyal wie klug ist. Durch gehässige Attacken im alten Stile auf die Führer der polnischen Parteibewegung in Posen und Oberschlesien wird sehr schlecht der Verständigung vorgearbeitet. Das müßten sich doch auch Daszyński und seine Freunde sagen, daß es gegenwärtig viel mehr im Interesse der Sache liegt,

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[1] Die von Rosa Luxemburg und 22 Sozialdemokraten auf dem Parteitag in München eingebrachte Resolution wurde mit einem Abänderungsvorschlag August Bebels angenommen und lautete wie folgt: „Da die ökonomischen und politischen Interessen des polnischen wie des deutschen Proletariats im Deutschen Reiche die gleichen sind, da ferner die Sozialdemokratie es für ihre Pflicht erachtet, die polnische Arbeiterklasse auch gegen die Unterdrückung ihrer Nationalität zu schützen, und dieser Pflicht stets nach Kräften nachgekommen ist, da endlich die Sozialdemokratie ihre deutschen und polnischen Mitglieder stets als vollkommen gleichberechtigt betrachtet und behandelt und die Agitation unter dem polnischen Proletariat materiell und moralisch in kräftigster Weise unterstützt, so muß die Absonderung einer polnischen Gruppe, der Polnischen Sozialistischen Partei, die sich in einen Gegensatz zur Gesamtpartei gestellt hat, als ein ungerechtfertigtes Vorgehen angesehen werden. Der Parteitag verurteilt scharf die von der Gruppe Polnische Sozialistische Partei provozierten Doppelkandidaturen in Oberschlesien und ersucht den Parteivorstand, nochmals den Versuch zu machen, eine Verständigung zwischen den streitenden Parteien herbeizuführen, die im Interesse der gesamten Sozialdemokratie liegt.“ Parteitagsprotokoll München 1902, S. 88; GW, Bd. 1, 2. Halbbd., S. 282.

[2] Gemeint ist der junge Genosse Georg Haase, dessen Äußerung auf dem Parteitag der schlesischen Sozialdemokraten am 12. Mai 1901 in Breslau Rosa Luxemburg in ihrer Rede auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Lübeck 1901 wie folgt zitiert hatte: „Wir pfeifen auf die Beschlüsse der deutschen Parteitage.“ Rede über die Beziehungen der deutschen Sozialdemokratie zur polnischen Partei. In: GW, Bd. 1, 2. Halbbd., S. 145.

[3] * Wir wollen hier gleich bemerken, daß die Genossin Luxemburg auf dem Parteitag eine Erklärung zu Protokoll gegeben hat, worin sie aufgrund eines Ausschnittes aus dem offiziellen Bericht über die Schlesische Provinzialkonferenz von 1900 bewies, daß sie den Ausdruck Haases sowohl dem Wortlaut wie dem Sinne nach vollkommen korrekt zitiert hat. Diese Erklärung wurde aber vom Präsidium des Parteitages abgelehnt, ohne daß ein Beschluß des Parteitags herbeigeführt worden wäre.