Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 434

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geschaffen hatte, ist heute durch den Gang der ökonomischen Entwicklung soweit gebracht, mit eigenen Händen die Gemeinde zu zerstören. Dieselben fiskalischen Interessen, deren Produkt die Obschtschina war, kommen bei ihr nicht mehr auf ihre Rechnung. Der Zarismus muß nun auch auf dem Lande europäischen Formen, dem individuellen Eigentum, der Freizügigkeit des Landproletariats, stattgeben, um seine Existenzmittel aus diesen modernisierten Verhältnissen zu pressen. Die alten haben gänzlich versagt.

Und hier sehen wir wieder die Kraft, die stets das Böse will, unaufhörlich Gutes schaffen. Indem die russische Regierung sich anschickt, die Fessel der bäuerlichen Solidarhaft vor dem Fiskus abzustreifen, verwirklicht sie eine der Programmforderungen der russischen Sozialdemokratie. Die Freiheit des Austritts aus der Gemeinde, die volle Freizügigkeit des Bauerntums, – unabweisbare Folgen der projektierten Reform, werden sowohl in die Lebensbedingungen der großen Masse des Bauerntums einen frischen Luftzug bringen wie dem städtischen Proletariat einen kräftigen neuen Zuzug sichern und somit dieselbe Armee stärken, die früher oder später dem Zarismus den Garaus machen wird.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 121 vom 30. Mai 1902.

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