Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 394

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wußtsein der revolutionären Aufgabe, die ihm in der modernen bürgerlichen Gesellschaft gestellt ist, schöpft das klassenbewußte Proletariat jene Kraft, die schließlich alle Bajonette der Welt überwindet, aber es muß diese Kraft stählen und üben, indem es jede Position besetzt, die es erobern kann. Verzichtet es auf einen erreichbaren Erfolg aus Furcht vor dem Siege, aus Scheu vor den Bajonetten, die diesen Sieg rächen könnten, so macht es allerdings selbst die Bajonette zu den endgültigen Richtern der Weltgeschichte.

Das moderne Proletariat darf seine Taktik und Strategie niemals auf gewaltsame Handstreiche und Straßenkämpfe anlegen; das ist der richtige Sinn des Satzes, daß die Revolutionen alten Stils überlebt seien. Allein die Vernunft wird zum Unsinn und die Wohltat zur Plage, wenn deshalb die Furcht vor dem Siege einreißt, die Scheu vor Erfolgen, die möglicherweise eine gewaltsame Reaktion der Gegner hervorrufen könnte. Wäre diese Taktik richtig, dann dürften die deutschen Arbeiter auch das allgemeine Stimmrecht nur mit weiser Mäßigung anwenden. So viel weiß doch jedes Kind, daß die herrschenden Klassen, wiederum vom Grafen Posadowsky bis zu Herrn Eugen Richter, dies Recht gewaltsam beseitigen würden, sobald einmal eine sozialdemokratische Mehrheit in den Reichstag einzöge. Die deutsche Sozialdemokratie müßte sich dann also selbst zu einer ewigen Minderheitspartei verurteilen. Das heißt, sie müßte im bürgerlichen Parlamentarismus dieselbe hoffnungslose Rolle spielen, wie die Bauern auf den feudalen Landtagen.

Solange die Welt steht, ist vielleicht noch kein Sieg erfochten worden, der nicht auch sehr unbequeme Konsequenzen für den Sieger hätte haben können; jedenfalls sind die Beispiele zahlreich genug, in denen zu sehr gesiegt worden ist. So hatte der alte Fritz sechs schreckliche Kriegsjahre zu ertragen, weil er am 6. Mai 1757 in der Schlacht bei Prag zu sehr gesiegt hatte. Aber hätte er aus Furcht vor dem Siege die Schlacht nicht geschlagen, so würde er in der Geschichte als ein Tor fortleben, und nicht als ein Held, sei es auch nur als ein dubioser Held von altpreußischer Fasson. Jedenfalls verstand er etwas vom Kriegswesen, und es ist bemerkenswert, daß er den General Fouqué, der sich dummerweise bei Landshut auf einen verlorenen Posten locken ließ, aber diesen Posten bis zum letzten Mann verteidigte, immer hoch in Ehren hielt, während er den General Finck, der bei Maxen[1] auf einem gleich verlorenen Posten in Wehr und Waffen kapitulierte, um unnötige Opfer zu ersparen, mit Schimpf und Schande kassierte. Der alte Fritz verstand sich auf die moralischen Imponderabilien [Werte] der Kriegführung und wußte sehr wohl, daß eine ehrenvolle Niederlage nach hartnäckigem Kampfe je nachdem ein viel größerer Gewinn ist als ein leicht gewonnener Sieg oder gar die vernünftigste Kapitulation.

Glücklicherweise braucht sich die moderne Arbeiterklasse in ihrem Emanzipationskampfe auf keine verlorenen Posten locken zu lassen. Sie kann immer auf ebener

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[1] In der Quelle Macon.