Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 360

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Wahnsinn der bürgerlichen Politik mit imaginärer Allmacht ausstattet, um sie für schönes Wetter mit dampfenden Schüsseln zu belohnen oder für Sturm und Hagel auszupeitschen, während sie an dem einen wie an dem anderen so unschuldig sind wie der wehrlose sibirische Fetisch.

Wenn die gänzliche Blindheit und Ohnmacht der offiziellen Lenker der Staaten je klar zu Tage trat, so ist es jetzt, in der Ära der Weltpolitik. Wie der blinde Wettbewerb der einzelnen Warenproduzenten in ihrer planlosen, chaotischen Gesamtheit ein Etwas ergibt, was deutsche Professoren „Nationalwirtschaft“ nennen und was, je nachdem, wie Prosperität, Stagnation oder Krach aussieht, ebenso schaffen die heutigen gepanzerten Staaten in ihrem anarchischen planlosen Walten auf dem großen Ozean der auswärtigen Politik das, was die gegenwärtige „Weltpolitik“ heißt und was ebenso fatal und chaotisch Frieden, internationale Reibungen oder Krieg erzeugt.

Allerdings, sagt Marx, die bloße wissenschaftliche Entdeckung des Fetischcharakters der Warenproduktion verscheucht noch nicht diese Produktionsform selbst. Ebenso wenig befreit uns leider das bloße Verständnis des politischen Götzendienstes von den Zuständen, kraft deren die Bülows, Prinettis, Danews und Loubets als Drahtzieher der Weltgeschichte erscheinen, deren sie bloß willenlose Mannequins sind. Aber wenn auch das klassenbewußte Proletariat vorläufig keine anderen Mittel hat, um in die eigentlichen Triebfedern und Bewegungslinien der politischen Entwicklung einen Einblick zu gewinnen, als durch die Hieroglyphe der plumpen Bewegungen der offiziellen Politik und ihrer geschichtlich unverantwortlichen Leiter, so geziemt es ihnen wenigstens, von ihren Bewegungen stets mit der souveränen heiteren Verachtung Notiz zu nehmen, mit der man von der höheren Warte einer historischen Weltanschauung auf den ungeschlachten bürgerlichen Fetischdienst herabblicken muß.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 79 vom 8. April 1902.

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