Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 354

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II Nach einem Zeitungsbericht

Die Referentin Rosa Luxemburg behandelte das Thema Sozialreform und Sozialdemokratie. Unter Hinweis auf die Sozialgesetzgebung in den Industrieländern zeigte die Rednerin, daß diese Art der Sozialreform nichts andres sei als ein Angstprodukt der bürgerlichen Gesellschaft, dazu bestimmt, die Arbeiter ausbeutungsfähiger zu machen und die Kapitalistenklasse in ihrer politischen und wirtschaftlichen Machtstellung zu erhalten. Keineswegs habe die Sozialreform, welche in den Arbeiterschutz- und Arbeiterversicherungsgesetzen zum Ausdruck kommt, einen sozialistischen Charakter, sie sei auch durchaus nicht geeignet – wie ihre Befürworter glauben – der Sozialdemokratie den Boden zu entziehen. Falsch sei auch die Annahme, daß diese Sozialreform in Verbindung mit der Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung uns langsam, ohne daß wir es merken, zur Verwirklichung des Sozialismus führen. Wenn auch die Diskussionen über Opportunismus und revolutionären Sozialismus beendet sind, so sprechen doch die Erscheinungen der letzten Zeit dafür, daß die Marxsche Lehre vom revolutionären Sozialismus nicht tot ist, sondern daß sie mit verdoppelter Kraft lebt. Diejenigen, welche nicht durch theoretische Auseinandersetzungen zu dieser Erkenntnis kommen konnten, werden durch die Tatsachen eines Besseren belehrt werden. – Der Vortrag fand lebhaften Beifall.

I LAB, A Pr. Br. Rep. 030, Nr. 14926, Bl. 94 R–98.

II Vorwärts (Berlin), Nr. 52 vom 2. März 1902.

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