Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 352

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Jahren in Frankreich für den Arbeiter geschah, das suchte in den siebziger Jahren Bismarck nach Deutschland zu verpflanzen, erkannte er doch, daß jeder, der vom Staate etwas erhalte, auch für das Wohlergehen des Staates eintrete. Seine eigenen Worte waren: „Ich habe lange genug in Frankreich gelebt, um zu wissen, daß die Anhänglichkeit der Franzosen an den Staat darauf beruht, daß der Bürger vom Staate Renten empfängt.“[1]

Die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes wurde ein Ansporn der Arbeiter für die Betätigung des bürgerlichen Bewußtseins derselben. Die Folge dieser Erkenntnis wieder sei, daß heute alle Parteien gezwungen seien, für das Wohl des Proletariats einzutreten. Geschieht dieses nicht, so würden ihre Anhänger, deren größter Teil ja doch aus Arbeitern bestehe, zur Sozialdemokratie übertreten. Andererseits seien alle bisher erfolgten sozialen Reformen mit einem Vorgehen gegen die Sozialdemokratie gepaart gewesen. Bismarck habe den Arbeiter mit der Sozialreform, einem Zuckerbrote, bei dem die Peitsche liege, beschenkt. Dennoch müsse der Arbeiter für alle diese Reformen dankbar sein, denn durch sie sei er zu seiner jetzigen Machtstellung emporgestiegen, von welcher die heutigen Gelehrten sagen, man müsse mit der Sozialdemokratie als mit einer Partei rechnen, und man dürfe das rote Gespenst nicht mehr bekämpfen, man müsse ihm nur ein anderes Ansehen geben.

Nicht durch die Arbeiterschutzgesetze, sondern lediglich durch die täglich sich vergrößernde Ausbreitung der Sozialdemokratie sei der Arbeiter seinem Elende entrissen worden. Bezüglich der Arbeiterfürsorge stehe Deutschland heute an der Spitze aller Kulturvölker. Hier sei die Arbeitszeit der Männer, Frauen und Kinder begrenzt, während in den übrigen Ländern, mit Ausnahme von England, wo aber auch nur für

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[1] Sinngemäß verkürzt zitiert, siehe S. 332, Fußnote 5. – Am 17. November 1881 waren vom Reichskanzler Bismarck dem Deutschen Reichstag in einer kaiserlichen Botschaft Sozialreformen angekündigt worden, die aber sehr schleppend verwirklicht wurden. 1883 wurde das Krankenversicherungsgesetz, 1884 das Unfallversicherungsgesetz und 1889 das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz angenommen. Zur Unfall- und Invalidenversicherung war schließlich am 27. November 1888 dem Deutschen Reichstag ein Gesetzentwurf vorgelegt worden. Das Gesetz bestimmte die Versicherungspflicht für Arbeiter und untere Beamte, die Beitragszahlung von Arbeitern und Unternehmern jeweils zur Hälfte, die Zahlung eines Reichszuschusses von 50 M je Rente und deren Berechnung nach Einkommens- und Ortsklassen. Die Gewährung einer Invalidenrente war an den Nachweis der Erwerbsunfähigkeit gebunden und erst nach fünfjähriger Beitragszahlung (Wartezeit) möglich. Altersrente erhielt, wer 71 Jahre alt ist und mindestens 30 Jahre Beiträge gezahlt hat. Das Gesetz wurde am 24. Mai 1889 mit 185 gegen 165 Stimmen beschlossen und trat am 1. Januar 1891 in Kraft. Der vor allem von August Bebel ausgearbeitete Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zur Abänderung des Gesetzentwurfs, der u. a. Erweiterung des Kreises der Versicherten, Senkung des Rentenalters auf 60 Jahre und der Wartezeit auf 20 Jahre, Erhöhung des Reichszuschusses auf 90 M und Erleichterungen zum Erwerb der Invalidenrente sowie alle Einkommen über 3000 M mit einer progressiven Reichseinkommensteuer zu belegen forderte, wurde abgelehnt.