Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 316

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teilweise beschäftigt wurden, um die Löhne der in Arbeit befindlichen noch mehr zu drücken, Gold bekommen diese Arbeiter überhaupt nicht in die Finger, sondern erhielten die Lebensmittel[1] durch Verkaufsstellen der Syndikate, die Arbeiter waren dadurch vollständig machtlos, ein Koalitionsrecht hatten sie wohl, durften es aber nicht ausnutzen.

Dieses wäre so etwas für unseren König Stumm und paßt zu dem Telegramm des Schiffs – „Schiff verloren, Mannschaft leider gerettet.“

Soweit läßt die deutsche Arbeiterschaft es freilich nicht kommen, wenn auch z. B. in den Bergwerken in Schlesien traurige Zustände herrschen und dort die Zentralverbände schon jetzt auf die Regierung einwirken, ist doch durch die 12000 M Affäre bekannt geworden. Wir haben Beweise dafür, wie die Scharfmacherei mit den Schutzzöllen zusammenhängt. Wir sehen ja, wie sich das Junkertum mit den Agrariern verbrüdert, um die sozialistischen und gewerkschaftlichen Bewegungen zu insistieren. In Frankreich begann die Schutzzöllnerei unter Méline – auch Vater des Hungers genannt. – Schutzzöllnerei bedeutet bei uns Reaktion. Schutzzoll und Arbeitertrutz sind eng miteinander verbunden.

Man sagt, daß die Schutzzölle fortschrittlich wirken, wir müssen aber als Soz. Demokrat. eine grundsätzliche Haltung dagegen einnehmen, wo kämen wir denn hin, wenn wir uns von den übrigen Parteien leiten lassen wollten. Das allgem[eine] Wahlrecht ist uns von einem der reaktionärsten Vertreter der herrsch. Gesellschaft, von Bismarck gegeben worden, das Stimmrecht der Frauen findet in Belgien unter den Klerikalen ihren Vertreter, während hier die Soz. Dem. es fordern. Dieses kann uns aber doch nicht bestimmen, gegenüber den Schutzzöllen, welche durch die Reaktion vertreten werden, uns dieser Reaktion anzuschließen. Wir müssen unsere Stellung zu dieser Frage nach ihrem ganzen Charakter vom Standpunkte sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung betrachten. Man spielt dabei auf den deutschen Zollverein[2] an, da ist man aber schlecht unterrichtet, denn dieser hat mehr zur Beseitigung der Zölle beigetragen, als neue Zölle geschaffen. Deutschland steht so da, daß es ohne Schutzzölle auskommen kann. Die Schutzzöllnerei dient nur zur Kartellierung und diese zur wirtschaftlichen Entrechtung der Arbeiter und zur Degenerierung derselben. Mit einer moralisch und wirtschaftlich heruntergekommenen Arbeiterschaft ist aber kein Fortschritt möglich. In Frankreich ebenso wie in Italien ist durch und trotz der Schutzzölle ein gewaltiger Rückgang zu verzeichnen. Mit Rußland liegt die Sache anders. Dieses Land hatte die Schutzzölle nötig, um nicht zu einem reinen Agrarstaat zu werden, heute besitzt Rußland bereits eine große Industrie, und die Unternehmer

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[1] In der Quelle: Lebensbedürfnisse.

[2] Der Deutsche Zollverein war eine wirtschaftspolitische Vereinigung deutscher Einzelstaaten unter preußischer Führung zu Beseitigung der Binnenzölle und zur gemeinsamen Regelung der Grenzzölle. Er war am 1. Januar 1834 von Preußen und 18 Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes gebildet worden und bestand bis zur Gründung des Deutschen Reiches 1871.