Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 312

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sucht Deutschland in der ganzen Welt alle möglichen und nur unmöglichen Plätze unter der Sonne zu erobern. Wenn heute, am Schlusse des Chinakrieges[1] noch keine endgültige Aufteilung Chinas eingetreten ist, so ist der Grund darin zu suchen, daß einer der beteiligten Mächte der Erste sein will, diesen Raub zu vollziehen, denn ein unabsehbarer Weltkrieg könnte hieraus entbrennen. Früher oder später wird dieses doch eintreten, und welche Opfer an Menschenleben solche Kriege kosten, sehen wir an Spanien u. Amerika,[2] Transvaal u. England.[3] An 50000 Menschenleben hat es England bereits in Afrika gekostet und das Ende dieses Krieges ist noch nicht abzusehen. Und was kosten diese Vorbereitungen zu einem Weltkrieg. In allen Ländern hat man Vorlagen für Vermehrung des Militarismus vorgelegt, auch solche Länder, die früher keine stehenden Heere hatten, verlangen heute solche, alles nach europäischem Muster. Ich verweise Sie auf Amerika, ebenfalls England wird eine große Umwälzung im Heereswesen einführen. Alle Länder bereiten sich auf große Kämpfe vor.

Worin liegt nun die Ursache des Chinakrieges, erst wird gesagt, die deutschen Soldaten müßten Rache nehmen für die Ermordung des deutschen Gesandten.[4] Ich bin der Letzte, der den Mord eines unschuldigen Menschen beschönigen wollte. Mord bleibt Mord. Aber, wenn uns die Ermordung eines unschuldigen Menschen solchen Abscheu erregt, da müssen wir fragen, hat Deutschland denn in dieser Beziehung reine Hände, braucht es nicht viel mehr vor seiner eigenen Tür zu fegen. Ich erinnere nur an Wehlan, Peters, Prinz Arenberg usw., wie schauderhaft diese Leute dort in den Kolonien gewirtschaftet haben, wie viele unschuldige Menschenleben sind unter den Händen dieser Kolonialbestien zu Grunde gegangen. Mit kaltem Blute hat dieser Arenberg den Neger ermordet und mit einem Entladestock dem Menschen im Gehirn herumgewühlt, hat Deutschland da ein Recht, so entrüstet zu sein, nach Rache zu schreien, wenn ein Mensch unschuldig ermordet wird. Deutschland hat das Recht nicht gegenüber China. Wie ist es kürzlich einem chinesischen Kulist [sic!] ergangen. Sie werden sich noch erinnern, vor wenigen Monaten hat ein deutscher Kapitän einen

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[1] Siehe S. 305, Fußnote 13.

[2] Siehe S. 269, Fußnote 7.

[3] Nach der Entdeckung von Goldfeldern in Transvaal hatte England im Oktober 1899 einen Krieg gegen die Burenrepublik in Südafrika provoziert. Nach anfänglichen militärischen Schwierigkeiten gelang es England, durch einen brutalen Unterdrückungsfeldzug die Buren im Mai 1902 der britischen Herrschaft zu unterwerfen.

[4] Der deutsche Gesandte in Peking, v. Ketteler, war am 20. Juni 1900 ermordet worden. – 1899 war in Nordchina der Volksaufstand der Ihotuan ausgebrochen, der 1900 durch die Armeen von acht Staaten unter Führung des deutschen Generals Alfred Graf von Waldersee grausam niedergeworfen wurde. In einem Abschlußprotokoll von 1901 wurde China u. a. gezwungen, etwa 1,4 Milliarden M Kontributionen zu zahlen und der Errichtung von Stützpunkten für die Interventionsarmeen zuzustimmen..