Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 287

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Die Regierung der Niederlagen, des Zuchthauskurses[1], der Kanalschlappe[2] stürzt sich vor aller Welt in eine neue schmähliche Blamage, die ihresgleichen sucht. Mit dem ganzen Hebelwerke offizieller und offiziöser Einflüsse, mit den raffiniertesten Umtrieben der Kulissenpolitik, mit dem Aufgebot des ganzen Presse- und Marineprofessoren-Gesindes ist 1898 ein Flottengesetz auf sechs Jahre durchgedrückt, durchgequetscht, durchgepeitscht, durchmanövriert, mit Zentrumshilfe durchgemanscht worden.

Und heute nach kaum zwei Jahren klappt dieses Wunderwerk staatsmännischer Weisheit leicht wie ein Kartenhaus elendiglich zusammen, die Regierung selbst erklärt ihr eigenes Machwerk für unhaltbar.

Leipziger Volkszeitung,

Nr. 252 vom 30. Oktober 1899.

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[1] Gemeint ist der Versuch der Regierung, mit einem Gesetzentwurf „zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse“ vom 20. Juni 1899 gegen die zunehmende Streikbewegung anzukommen und de facto das Koalitions- und Streikrecht der Arbeiter zu beseitigen. Die „Zuchthausvorlage“ wurde gegen die Stimmen der Konservativen am 20. November abgelehnt.

[2] Mitte März 1899 war im preußischen Landtag von der Regierung, unterstützt von den Liberalen sowie von Industrie- und Militärkreisen, eine Vorlage zum Bau eines Verbindungskanals zwischen Rhein, Ems, Weser und Elbe eingebracht, von ostelbischen Agrariern im August 1899 aber zu Fall gebracht worden, da sie ein Sinken der Getreidepreise infolge billiger Einfuhrmöglichkeiten und die Abwanderung der Landbevölkerung in die Industriezentren befürchteten und gleichzeitig auf die Zollpolitik Druck ausüben wollten.