Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 182

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einem Militärposten bedacht, der den Zutritt der Streikdelegierten zu verhindern hat. Nur der strengen Disziplin der Streikenden ist es zu verdanken, daß bisher keine Zusammenstöße erfolgt sind, ungeachtet einzelner provokatorischer Auftritte seitens des Militärs und der Polizei.

Das ungeheure Militäraufgebot hat allerdings der weiteren Ausdehnung der Bewegung mindestens keinen Abbruch getan, den Unternehmern aber ist dadurch der Kamm gewaltig geschwollen. Unter dem Schutze der „nationalen“ Bajonette werden sie hochmütiger denn je. Der unternehmerische Maurer-Fachverein verleumdet in einem dreisten Aufrufe die Streikführer als „besoldete Ruhestörer und internationale Rädelsführer“, deren Zweck es sei, das Mißlingen der Weltausstellung herbeizuführen! Das bekannte Manöver der Unternehmer aller Länder, den Patriotismus im Interesse des Profits auszuspielen, ist in der gegenwärtigen politischen Situation Frankreichs besonders infam, weil besonders wirkungsvoll. Die Generalstabspresse, die im wesentlichen mit der Unternehmerpresse zusammenfällt, verdächtigt seit mehreren Tagen die ganze Streikbewegung als einen – Anschlag des Auslandes. Die Pressebanditen sind nur noch nicht im Reinen darüber, ob der Anschlag vom englischen oder vom deutschen Erbfeinde herrührt. Der Antisemiterich Drumont hält dafür, daß die deutschen Juden zwei Millionen Francs zur Unterstützung des Streiks hergegeben hätten. Der Generalstabs-Jude Pollonais vom „Soir“ legt einem Streikenden die Worte in den Mund, er schwimme im Gold seit dem Beginn des Streiks…

Diese patriotisch-kapitalistische Hatz hat den doppelten Zweck, einen Umschwung der bisher im Allgemeinen den Streikenden sympathischen öffentlichen Meinung herbeizuführen und dann namentlich für eine militärische Unterdrückung des „landesverräterischen“ Streiks Stimmung zu machen. Nichts wäre in der Tat dem Generalstab und den hinter ihm stehenden staatsstreichelnden Elementen erwünschter als eine Massenmetzelei der Proletarier, welche in der gegebenen Situation das Vorspiel eines militärischen Staatsstreiches werden müßte.

Die einzige und hoffentlich wirksame Bürgschaft gegen diese heimtückischen Pläne ist das Verharren der Streikenden in ihrer bisherigen ruhigen Haltung.

Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden),

I. Nr. 239 vom 14. Oktober 1898,

II. Nr. 240 vom 15. Oktober 1898.

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