Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 180

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Verbotes des Zwischenunternehmertums, eines Verbotes, dessen gesetzliche Kraft Anfang dieses Jahres vom Kassationshofe anerkannt werden mußte.

Der Kampf begann Mitte September mit dem Ausstand der Erdarbeiter bei einem der größten Submissions-Unternehmer der Gemeinde. Trotzdem der betreffende Beruf ganz überwiegend von unsteten und unorganisierten Elementen besetzt ist, die der Natur der Arbeit gemäß auch räumlich in weit voneinander entfernten Arbeitsstellen zerstreut sind, – hat sich der Ausstand mit der Raschheit eines Lauffeuers verbreitet. Nach ein paar Tagen standen bereits 15000 Mann im Kampfe, fest geschart um den kleinen Kern der Erdarbeiter-Gewerkschaft. Die Streikenden forderten gemäß dem Lohntarif von 1882 eine Erhöhung des Stundenlohnes von 50 auf 60 Centimes (von 40 auf 48 Pfennig) für die eigentlichen Erdarbeiter und von 60 auf 75 Centimes für die unterirdischen Schachtarbeiter.

Ursprünglich lag es ganz in der Hand der Unternehmer, den Konflikt rasch zu erledigen. Sie kehrten aber die übliche Protzenhaftigkeit heraus, indem sie selbst den von den Arbeitern angenommenen friedensrichterlichen Einigungsversuch ablehnten. Aber ihre Spekulation auf die Aushungerung der Arbeiter erwies sich als verfehlt. Die Streikenden harrten drei Wochen lang aus bei einer winzigen täglichen Unterstützung von 50 Centimes für Ledige und einem Franc für Verheiratete, während inzwischen die Niederreißungs-Arbeiter mit den Erdarbeitern gemeinsame Sache machten.

Die Ausdauer der Erdarbeiter erweckte das Solidaritätsgefühl und die Kampfeslust bei den zunächst an der Weltausstellung beteiligten Bauarbeitern. In der ersten Oktoberwoche tritt ein Baugewerbe nach dem anderen der Bewegung bei. Der Erdarbeiterstreik wächst zu einem Bauarbeiterstreik an. Die Gewerkschaften erklären den Generalstreik für die ganze Bauindustrie. Ist auch von der Erklärung des Generalstreikes bis zu dessen tatsächlicher Durchführung ein weiter Weg, so schwillt doch binnen weniger Tage die Zahl der Streikenden auf mindestens 35000 Mann an.

Die Erfahrungen der neuesten großen Streiks haben zwar gelehrt, daß die Ausdehnung eines Streiks über gewisse Grenzen hinaus die Kampfesstellung auch der bestorganisierten Arbeiter verschlimmern müssen. Aber die oben skizzierte ausnahmsweise günstige Situation erklärt schon an sich den Beschluß der Gewerkschaften zur Genüge. Handelt es sich doch um dringende Arbeiten, die unmöglich eine längere Unterbrechung erleiden können, soll nicht anders das rechtzeitige Zustandekommen der Weltausstellung verhindert werden. Eine andere Frage ist es, ob die leitenden Gewerkschaftskreise klug handeln, indem sie die Gelegenheit für die Organisierung des Generalstreiks aller Berufe auszunutzen trachten. Dieser Plan, eine Frucht der allemanistischen Generalstreik-Idee,[1] ist nicht nur phantastisch und gefahrvoll, angesichts des Entwicklungsprozesses der französischen Gewerkschaften und der gegenwärtigen politischen Situation; er ist auch höchst geeignet, bei dem ersten

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[1] Sie waren Anhänger von Jean Allemane, französischer Sozialist, Kommunarde, Journalist, vertrat anarcho-syndikalistische Auffassungen; gründete 1890 die Revolutionäre Sozialistische Arbeiterpartei.

Siehe auch Rosa Luxemburg: Zur Bewegung der französischen Eisenbahner. In: GW, Bd. 6, S. 140 ff. und S. 143 ff.