Kämpfenden Flugblätter, worauf die Verwaltung auch mit Flugblättern antwortete. Das Ende war – ein glänzender Sieg der Sozialdemokratie, und der machtlosen Polizei blieb nichts anderes übrig, als sich durch Verhaftungen zu rächen.
Die von der Partei geleiteten Streiks waren in den letzten zwei Jahren zahllos, fast alle Gewerbe und bedeutenden Werkstätten sind von ihnen berührt worden. Das heurige Maifest wurde gefeiert durch Arbeitsniederlegung – zum ersten Mal in Litauen! – von einem Teile der Schuhmacher, Schreiner, Schlosser, Schneider und auf den Ziegeleien. Hier wurden die Arbeiter jeder in seiner Wohnung von der Polizei gesucht und mit Gewalt zur Arbeit getrieben. Sie waren jedoch mit dem Umkleiden etc. so ungeschickt, daß sie vollzählig auf der Ziegelei erschienen – um 6 Uhr abends, wo sie natürlich von dem fuchswilden Unternehmer wieder nach Hause geschickt wurden. Die Partei hat auch abends Versammlungen am 1. Mai veranstaltet, wo zeitgemäße Reden abgehalten und besonders die politischen Ziele des Kampfes sehr stark betont wurden.
Seit Ende März gibt die polnische Sozialdemokratie in Litauen ein eigenes hektographiertes Parteiblatt „Echo des Arbeiterlebens“ heraus. Das Blatt wird mit Geschick und Temperament redigiert und ist sogar mit wirksamen satirischen Illustrationen ausgestattet. Soeben ist bereits die fünfte Nummer des „Echo“ erschienen. – In der kurzen Zeit ihrer Existenz hat die Sozialdemokratie also sehr viel geleistet. – Neulich gab der geheimnisvolle Tod des verhaßten Spitzels Raphal den Regierungsorganen in Litauen sehr deutlich zu fühlen, daß es vielleicht besser ist, der Arbeiterbewegung nicht gar zu sehr nahe zu treten.
Augenblicklich stehen die Verhaftungen und der Gerberstreik im Vordergrund des Parteilebens. Über beides werden weitere Nachrichten bald vorliegen.
Der polnische Nationalismus hat bereits in Litauen jede Spur von Einfluß in der Arbeiterbewegung verloren, weshalb auch die Nationalisten sich darauf beschränken müssen, statt irgendwelche Tatsachen aus der Bewegung, lediglich über belletristische Dialoge zwischen Gendarmen und Arbeitern und dergleichen Geschichten zu berichten, die sie auch – dank der Unkenntnis, welche über russische Verhältnisse herrscht – selbst in solchen gediegenen Arbeiterblättern, wie die „Wiener Arbeiter-Zeitung“, glücklich unterbringen zu verstehen.[1]
Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden),
Nr. 222 vom 25. September 1897.
[1] Alfonsas Moravskis protestierte gegen Rosa Luxemburgs Darstellung der Aktivitäten der litauischen Sozialdemokratie als einen Teil der polnischen sozialdemokratischen Bewegung. Statt einer Gegenerklärung in der Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden) schrieb sie in ihrem Artikel: „Der Sozialismus in Polen“ in den „Sozialistischen Monatsheften“: „Das Ergebnis der letzten anderthalb Jahre ist eine ganz selbständig aufgekommene sozialdemokratische Bewegung unter dem jüdischen Proletariat Warschaus, und in Litauen hat sich ebenfalls ganz selbständig eine litauische Sozialdemokratie ausgebildet, die in litauischer und polnische Sprache agitiert, eine Reihe Gewerkschaften organisiert hat und ein eigenes hektographiertes Parteiblatt herausgibt.“ GW, Bd. 1, 1. Halbbd., S. 90. – GB, Bd. 1, S. 450 ff.