Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 101

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zu einem gewissen Grade v ermitteln. Anders in bezug auf die positiven Sätze der Marx’schen Lohntheorie. Die extensive Erweiterung der Produktion – sagt Prof. Wolf – geht rascher vor sich, als die Intensivierung derselben durch die Fortschritte der Technik. Es ist schwierig – wir gestehen es zu – in dieser Frage u. die Reservearmee wächst deshalb nicht, sondern vermindert sich allmählich. Es ist schwierig – wir gestehen es zu – in diesen Fragen unmittelbare Beweise darzubringen. Wenn die Marx’sche Schule eine Reihe von statistischen Daten zur Unterstützung ihrer Behauptungen anführt, so stellt Prof. Wolf auf anderer Seit denselben eine Reihe anderer Ergebnisse der Statistik entgegen. Bei dem heutigen Stand der Statistik kann sie bekanntlich in gleichem Maße für u. wider jede Behauptung Zeugnis ablegen. Wir meinten jedoch, min die Beweise wären eben auf indirektem Wege zu suchen, in solchen sozialen Phänomena, die uns nur durch die Annahme immer groß einer fortschreitenden Proletarisierung erklärt werden können. So z. B. die überseeische Auswanderung, so die R verzweifelten Versuche aller Regierungen, den Mittelstand „zu retten“ (Siehe st neulich den Vorschlag der staatlichen Organisation des deutschen Handwerks!), so die Leichtigkeit, womit die größten Ausstän Arbeitsausstände durch Anwendung von industriellen „Reservisten“ gebrochen werden (siehe den letzten Hamburger Streik[1]), so die unaufhaltsame Despezialisierung (um ein Wort ad hoc zu konstruieren) der Arbeiter die u. somit die Freiset unaufh. fortschreitende Überflüssigmachung der skilled Arbeiter, so endlich – die wachsende Unzufriedenheit unter den Volksmassen u. damit die wachsende soz Arbeiterbewegung. Dies alles Tatsachen, mit denen so oder anders jede Lohntheorie rechnen sich abf. muß und die, wie uns scheint, alle auf die Existenz u. das Wachstum auf eine zunehmende Proletar. Proletarisierung des Mittelstandes u. damit ein Wachstum der Reservearmee zu bestätigen schließen zu lassen scheinen. Ohne hier weiter auf diese Punkte [?] darauf eingehen zu können, wollen wir nur noch die eigene Lohntheorie von Prof. Wolf in Kürze im wesentlichen wiedergeben.

In Wirklichkeit – sagt Prof. Wolf – hängt die jeweilige Höhe des Arbeitslohns 1) von dem Angebot der Arbeitshände, 2) von ihrer Lohnpolitik – ein Moment, welches, soviel wir wissen, von keinem anderen deutschen bürgerl. Nationalökonomen mit dieser Ausdrücklichkeit hervorgehoben wurde u. von den englischen nur von Thornton in seiner „The Labour“ 1869, 3) von der Ergiebigkeit des Gewerbes u. der

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[1] Vom 21. November 1896 bis 9. Februar 1897 streikten in Hamburg rund 16000 Hafenarbeiter. Mit solidarischen Unterstützungsgeldern von 1613600 Mark deutscher und ausländischer Arbeiter brachten sie für 11 Wochen den Hafenbetrieb zum Erliegen. Sie forderten höhere Löhne und eine Arbeitszeit von acht Stunden an Sonntagen und von 12 Stunden an Werktagen. Sie mußten sich brutaler Unterdrückungsmaßnahmen des Großkapitals erwehren. Über 500 Streikende wurden verhaftet, mehr als 37 Jahre Gefängnis und 1418 Mark Geldstrafen verhängt. Obwohl der Streik nur geringe Lohnzugeständnisse erbrachte und eine Niederlage erlitt, galt er als ein Höhepunkt der Streikbewegung in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts.