Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 617

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nur in dem allgemeinen Inhalt dieser Revolution, sondern in jedem ihrer Schritte, in jedem einzelnen Moment!

Die Amnestie

Peterhof, 3. November. (Meldung der „Petersburger Telegr[aphen]-Agentur“.) Ein kaiserlicher Ukas betreffend den Erlaß einer Amnestie ist unterzeichnet.

Petersburg, 3. November. Die Regierung bewilligte verlangte Amnestie, die auch vom Zaren bereits unterzeichnet worden ist. Die wegen politischer Attentate nach 1899 Verurteilten sind davon ausgeschlossen. (!!)

Die Mordbuben besorgt um die Moral.

Petersburg, 3. November. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Ein Regierungskommuniqué führt aus, nachdem das Manifest vom 30. Oktober unerschütterliche Grundlagen für die Entwicklung des Lebens Rußlands auf der Basis von Gesetzmäßigkeit und Recht geschaffen, erhalte die Teilnahme an Straßendemonstrationen einen ganz anderen Sinn als vorher. Sie könne nur die Unordnung unterstützen, daher sei die Teilnahme von Schülern mittlerer und unterer Lehranstalten an solchen Kundgebungen schon aus moralischen Gründen zu verurteilen. Wenn die Aufmerksamkeit der Gesellschaft nicht schon jetzt darauf gerichtet werde, drohe dem Staate das Anwachsen der Zahl der Leute, deren Achtung vor der Autorität und Ordnung schon auf der Schulbank radikal erschüttert sei. Die Regierung rufe alle Bürger zur Selbstbeherrschung und ruhiger Beschäftigung auf.

Das Pressedekret

Petersburg, 3. November. Der Wortlaut des Dekrets, welches die Pressefreiheit gewährt, liegt in der Redaktion der „Nowoje Wremja“ [Neue Zeit] zur Einsicht aus. Graf Witte[1] hat die Chefredakteure der Petersburger Blätter ersucht, von dem Inhalt Kenntnis zu nehmen und ihm eventuell Abänderungsvorschläge zu machen. Die Chefredakteure werden infolgedessen heute Abend mit dem Graf Witte eine Unterredung haben.

Belagerungszustand in Odessa!

Odessa, 3. November. Mit der Verhängung des Belagerungszustandes wird bestimmt, daß nach 7 Uhr abends sich niemand mehr auf den Straßen sehen lassen darf, daß auf jede Person, die nach dieser Zeit am Fenster oder auf dem Balkon erscheint, geschossen wird, um neun Uhr ist das Licht in den Häusern zu löschen. Gestern Nachmittag entwaffneten die Polizei und Truppen über 5000 Personen, welche Revolver bei sich trugen.

Petersburg, 3. November. (Meldung der „Petersburger Telegraphen-Agentur“.) Die Zensur für amtliche Telegramme der Zeitungen ist aufgehoben worden.

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[1] Graf Witte war von 1892 bis 1903 Finanzminister und von Oktober 1905 bis April 1906 Ministerpräsident Rußlands. Er war Monarchist, aber zeitweilig zu einem Bündnis mit der Großbourgeoisie und zu konstitutionellen Zugeständnissen bereit. Letzten Endes war er maßgeblich an der Unterdrückung der Revolution beteiligt.