Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 538

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die gefallenen Opfer am Tage ihres Begräbnisses, am 4. Mai, durch allgemeine absolute Arbeitsruhe in ganz Warschau geehrt.

Wir werden auch weiter treu unserer Aufgabe, als Teil der Arbeiterklasse ganz Rußlands, um die Niederwerfung des Absolutismus, dieser Regierung der Mörder, und um die Verwirklichung der politischen Freiheit im ganzen Zarenreich kämpfen. Die Arbeiterschaft Russisch-Polens wird auch ferner dem russischen Proletariat im verzweifelten Ringen mit der Knutenherrschaft treu und brüderlich in Reih und Glied zur Seite stehen, wie sie auch die erste Kunde von der Petersburger Metzelei vom 22. Januar[1] wie ein Mann zum Generalstreik sich erhob.[2] Die neulichen Opfer am 1. Mai werden uns nicht abhalten, unsere Tatkraft nicht lähmen. Aber ein unbändiger Zorn, eine flammende Empörung hat sich jetzt unserer Arbeiterschaft nach diesem ruchlosen Mord bemächtigt.

Deshalb wenden wir uns an Euch, Genossen und Brüder aller Länder. Euch soll der Verzweiflungsruf unserer gemordeten Kameraden übermittelt werden. An Eure Solidarität und moralische Unterstützung appellieren wir, um unser heldenmütiges Proletariat zu neuen schweren Opfern, die seiner noch harren, zu stählen.

Genossen, erhebt Eure Stimme vernehmlich zu dem Rufe: „Nieder mit dem niederträchtigen Absolutismus! Nieder mit den Mördern von Petersburg und Warschau!“

Warschau, den 4. Mai 1905

Der Vorstand

der Sozialdemokratischen Partei Russisch-Polens und Litauens

Vorwärts (Berlin),

Nr. 115 vom 18. Mai 1905.

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[1] Gemeint ist der Beginn der russischen Revolution, als am (9.) 22. Januar 1905 in St. Petersburg 140000 Arbeiter zum Winterpalais mit einer Bittschrift zogen, in der sie den Zaren um die Verbesserung ihrer Lebenslage ersuchen wollten. Die Demonstranten, unter denen sich auch Frauen und Kinder befanden, wurden auf Befehl des Zaren mit Gewehrsalven empfangen, über 1000 Menschen wurden getötet und etwa 5000 verwundet. Dieses Blutvergießen löste eine Welle von Proteststreiks und Bauernunruhen in ganz Rußland aus.

[2] Rosa Luxemburg nennt in „In revolutionärer Stunde: Was weiter?“ als Beginn des allgemeinen Streiks den 28. Januar 1905, zu dessen Höhepunkt der Generalstreik der polnischen Arbeiter vom 1. bis 4. Mai 1905 wurde, siehe GW, Bd. 1, 2. Halbbd., S. 55.