Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 492

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nissen heranziehen wolle, so könne man doch nicht etwa England oder die Vereinigten Staaten nennen, sondern man pflege sich auf Japan oder China mit seinem bekannten Kulitum zu berufen. Genossin Luxemburg bewies demnach, daß in ihren Worten allerdings eine scharfe Kritik des kaiserlichen Urteils nach seiner sachlichen Rede hin lag, nicht entfernt aber eine persönliche Beleidigung für den Kaiser.[1]

Gen. Luxemburg stellte darauf zunächst fest, daß die Versammlung unter freiem Himmel, auf einem Gartengrundstück stattfand, und zwar unter strömendem Regen und bei starkem Winde. Die Rednerin habe, um sich einigermaßen verständlich zu machen, mit größter Kraftanstrengung und lautester Stimme sprechen müssen, da sei es doch ein Unding, noch die Nuancen des Hohnes oder der Ironie herausgehört haben zu wollen. Zugleich wies Genossin L. energisch die Auffassung des Herrn Assessors in bezug auf die Begriffe der Arbeiterkreise über die Chinesen zurück. Sie versicherte, daß die deutschen Arbeiter im Japaner und Chinesen den gleichberechtigten und ebenbürtigen Menschen und seine anders geartete Kultur ebenso achten wie jeden Europäer. Es sei vielmehr die eigene Ethik und Psychologie, die der Herr Assessor da der sozialdemokratischen Versammlung imputieren wolle.[2]

Genossin Luxemburg wies noch in ihrem Schlußwort darauf hin, daß die für den Begriff der Majestätsbeleidigung, wie jeder Beleidigung, wesentliche vorsätzliche Kundgebung der Mißachtung vollständig fehlte. Die Absicht, den Kaiser zu beleidigen, liege jedem Sozialdemokraten vollständig fern. Die Sozialdemokratie bekämpfe die Institutionen und nicht die Personen, die Monarchie und nicht die Person des Kaisers. Die Sozialdemokratie suche in den Versammlungen aufzuklären und nicht aufzuhetzen, schon deshalb sei ein Vorsatz der Beleidigung gänzlich ausgeschlossen.[3]

Vorwärts (Berlin),

Nr. 15 vom 19. Januar 1904.

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[1] Der Belastungszeuge, Assessor Richter, antwortete auf die Frage ihres Verteidigers, Dr. Siegfried Löwenstein, er könne sich nicht erinnern, ob die Worte so lauteten, wie er sie angezeigt habe. Der Sinn aber, auch der Vergleich mit China und Japan, seien eine Beleidigung und Verhöhnung des Kaisers. Er sagte: „Und gerade in den Kreisen, die in jener sozialdemokratischen Versammlung waren, wäre ja der Chinese ‚das Lächerliche par excellence‘, also habe die Referentin den Kaiser lächerlich machen wollen.“

[2] Der Verteidiger hatte von Einwohnern erfahren, der Assessor habe seinen Kutscher warten lassen. Er wollte folglich mit der Versammlung sehr bald fertig werden, was mit dem Wortentzug nach 20 Minuten zutraf. Der zweite Zeuge, Gemeindevorsteher Sonntag, verwandelte sich in einen Entlastungszeugen, indem er Rosa Luxemburgs Darstellung bestätigte. Der Gerichtspräsident drang jedoch so auf ihn ein, daß er letztlich den höhnischen Ton der Referentin bestätigte. Demnach schrumpfte die Anklage, wie der Verteidiger feststellte, auf die Behauptung von dem „höhnischen Ton“ zusammen. „In den 12 Wählerversammlungen, die die Angeklagte außer dieser in Sachsen allein abgehalten hätte und in den im ganzen 27 Versammlungen, in denen sie zur Wahlzeit gesprochen hat, habe sie nirgends Anlaß zur Anklage gegeben. Er plädierte für Freispruch und im Falle der Verurteilung für Festung.“

[3] Das Urteil lautete nach anderthalbstündiger Gerichtsverhandlung auf drei Monate Gefängnis, die Rosa Luxemburg ab 24. August 1904 im Amtsgerichtsgefängnis in Zwickau absaß. Am 25. Oktober wurde sie infolge einer Amnestie, die anläßlich der Thronbesteigung des Königs Friedrich August von Sachsen am 15. Oktober 1904 erlassen worden war, einen Monat früher entlassen.