Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 438

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den juristischen und politischen Überbau der Gesellschaft den veränderten ökonomischen Bedingungen anzupassen, sind Reformen, wenn sie von den Klassen ausgehen, die bis dahin die Gesellschaft politisch und ökonomisch beherrscht haben, sie sind Reformen, auch wenn sie nicht freiwillig gegeben, sondern durch das Andrängen der beherrschten Klassen oder durch die Macht der Umstände abgerungen werden. Dagegen sind derartige Maßregeln Ausflüsse einer Revolution, wenn sie von einer Klasse ausgehen, die bisher ökonomisch und politisch unterdrückt gewesen ist und die nun die politische Macht erobert hat, die sie in ihrem eigenen Interesse notwendigerweise dazu benutzen muß, den ganzen politischen und juristischen Überbau der Gesellschaft langsamer oder schneller umzuwälzen und neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenwirkens zu schaffen.

Auf diese soziale Revolution kann und darf die moderne Arbeiterklasse nicht verzichten, wenn sie sich wirklich emanzipieren will. Kautsky weist eingehend nach, daß die kapitalistische Entwicklung die Klassengegensätze nicht mildert, sondern schärft, daß die entgegengesetzte Behauptung von der angeblichen Abschwächung des Klassengegensatzes zwischen Bourgeoisie und Proletariat zwar nicht völlig aus der Luft gegriffen sei, aber sich darauf beschränke, gewisse Schichten der bürgerlichen Intelligenz mit dem proletarischen Klassenkampfe anzufreunden. Von eben diesen Schichten der bürgerlichen Intelligenz stammen denn auch alle die Sirenenlieder, die glücklich eine gewisse Verwirrung in den Reihen des kämpfenden Proletariats verursacht haben.

Hören wir einen Augenblick auf diese lockenden Gesänge! In allen Kulturstaaten besteht so viel Demokratie, als nötig ist, um die friedliche, revolutionslose Entwicklung zu ermöglichen. Überall ist es möglich, Konsumvereine zu gründen, die bei ihrer Ausbreitung auch die Eigenproduktion ins Werk setzen und so, langsam aber stetig, die kapitalistische Produktion von einem Gebiete nach dem anderen verdrängen. Überall ist es möglich, Gewerkschaften zu organisieren, die die Macht des Kapitalisten in seinen Betrieben immer mehr beschränken, an Stelle des Absolutismus den Konstitutionalismus in die Fabrik einführen, und so den langsamen Übergang zur republikanischen Fabrik vorbereiten. Fast überall kann die Sozialdemokratie in die Gemeinderäte eindringen, die öffentlichen Arbeiten im Interesse der Arbeiterschaft beeinflussen, den Kreis der munizipalen Aufgaben erweitern, durch die stete Erweiterung des Kreises der Gemeindeproduktion die Privatproduktion einengen. Endlich dringt die Sozialdemokratie in die Parlamente ein, erringt dort immer mehr Einfluß, setzt eine soziale Reform nach der anderen durch, schränkt die Macht der Kapitalisten durch Arbeiterschutzgesetze ein und erweitert zugleich immer mehr den Kreis der staatlichen Produktion, indem sie auf Verstaatlichung der großen Monopole hinwirkt. So wächst durch Benutzung der demokratischen Rechte auf dem heute schon gegebenen Boden allmählich ohne jede Erschütterung die kapitalistische in die sozialistische Gesellschaft; die revolutionäre Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat wird unnötig,

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