tung“, auseinander, daß der Zeitpunkt nahe ins Auge zu fassen sei, wo in Belgien eine sozialistisch-progressistische Mehrheit in der Kammer regieren und ein sozialistisches Ministerium bilden werde. Seither hat tatsächlich, wie es scheint, der Gedanke der Eroberung der staatlichen Gewalt immer mehr die Taktik der belgischen Führer bestimmt, und er hat auch die letzte Wahlrechtsaktion vorwiegend beherrscht. Es war kein Zufall, daß in der Millerandfrage[1] die belgischen Parteiführer die leidenschaftlichsten Verteidiger des ministeriellen Experiments gewesen sind. Sie sprachen für ihre kühnsten politischen Hoffnungen und antizipierten in deren theoretischer Rechtfertigung ihre eigene Zukunftspolitik. Daher auch die entscheidende Wertschätzung, die die sozialistischen Führer dem Bündnis mit den Liberalen gegeben haben, daher endlich auch das Schielen nach dem „sozialen Königtum“ und das blinzelnde Flirten mit Papa Leopold [II.]. Das paßte damals alles genau ins System. Daneben bekam allerdings die Aktion auf der Straße nur einen beiläufigen, nebensächlichen Wert; sie sank zu einer bloßen Unterstützungsaktion des parlamentarischen Vorgehens herab und wurde gegenstandslos, als die Verfassungsrevision im Parlament ihren Abschluß gefunden hatte. Vollends die Forderung des Frauenstimmrechts war gar ein unbequemes Hindernis, da es die parlamentarische Allianz zu kreuzen drohte. So gibt der belgische Möchte-gern-Ministerialismus auch einen Schlüssel für das Verständnis des belgischen Mißerfolgs und insbesondere für den unvermutet raschen Zusammenbruch des Generalstreiks.
Leipziger Volkszeitung,
Nr. 95 vom 26. April 1902.