Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 6, 1. Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2014, S. 295

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Gründe zusammenwürfelt, daß sie unwillkürlich einander direkt widersprechen und sich gegenseitig aufheben. Hier vorläufig nur einige Proben:

Die allgemeine Grundlage der Beweisführung in der Flottendenkschrift ist die Steigerung der deutschen Seeinteressen von 1896–1898. Der Ausgangspunkt bildet hier die Bevölkerungsbewegung Deutschlands in den letzten Jahren. Wir erfahren, daß die Zunahme der Bevölkerung im Deutschen Reich schneller vor sich geht als in allen anderen Großstaaten, daß z. B. der Überschuß allein der Geburten über die Sterbefälle 1898 in Deutschland 81700 Köpfe größer war als die Gesamtzahl der Geburten in Frankreich.

Das sind für uns zweifellos sehr schmeichelhafte Tatsachen. Allein, wo liegt da der Schluß für die gegenwärtige Flottenvermehrung? Ist etwa Deutschlands Boden zu eng für diesen raschen Bevölkerungszuwachs und brauchen wir für die Überzahl unserer Bürger Kolonien, die wir mit einer großen Schlachtflotte erobern könnten? Das gerade nicht, denn die Denkschrift konstatiert selbst ausdrücklich, daß die Auswanderung stetig zurückgeht und verhältnismäßig von allen Staaten in Deutschland am geringsten ist. Was beweist also die Bevölkerungszunahme für die Flottenvorlage? Das bleibt ein Geheimnis des Marineamts, es sei denn, daß für einen Reichsdeutschen bereits einfach aus der Tatsache seiner Geburt das Interesse und die Pflicht zur Flottenvermehrung erwächst. …

In zweiter Linie marschiert in der Beweiskette der Denkschrift die Zunahme des deutschen Außenhandels. Seit 1896 bis 1898 hat er sich um 16 Prozent vermehrt und betrug 1899 zirka zehn Milliarden Mark. Wiederum ist der daraus für die Flottenvermehrung zu ziehende Schluß unklar. Der logische Zusammenhang ergibt sich höchstens, wenn wir voraussetzen, daß bei dem allgemeinen Aufschwung des deutschen Außenhandels speziell der Seehandel etwa zurückgeblieben ist und sich somit als „schutzbedürftig“ erweist. Allein dieselbe Denkschrift stellt fest, daß das gerade Gegenteil der Fall ist: Der Seehandel betrug 1894 66 Prozent des gesamten Außenhandels, 1898 bereits 70 Prozent, in den letzten drei Jahren ist er um ganze 1300 Millionen gestiegen, und zwar seit 1894 um 36 Prozent, während der Landhandel nur um 16 Prozent zugenommen hat. Wenn diese Tatsachen irgendetwas beweisen, so ist es dies: daß sowohl der Außenhandel Deutschlands im Allgemeinen wie sein Seehandel im Besonderen bis zur Stunde ohne alle Schlachtflotten und deren Schutz großartig gedeiht und die Flottenvermehrung ihm ungefähr ebenso bitter Not ist wie das fünfte Rad dem Wagen.

Endlich noch eine Stichprobe zum Schluß! Es ist selbstverständlich, daß bei dem so rasch steigenden Seehandel der Schiffsverkehr in den deutschen Häfen gleichfalls enorm zugenommen hat. Die Zahl der in den deutschen Häfen verkehrenden Schiffe

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