steht als das öffentliche Wohl, wäre zu demselben Ergebnis gekommen wie Zurlinden. Für den General, der das verhängnisvolle Dossier studiert, eröffnen sich nur zwei Aussichten: Entweder sind die darin aufgestapelten Dokumente echt, dann ist Dreyfus schuldig und hat keinen Anspruch auf legale Behandlung; sind die Dokumente aber gefälscht, so sind die höchsten Offiziere der Armee zu Dutzenden der Anklagebank verfallen. Da der Offizier seine eigene Existenz und seine eigene Ehre mit derjenigen der Armee identifiziert, so unterliegt es also für ihn keinem Zweifel, daß die Revision des Dreyfus-Prozesses unmöglich ist. Die Entscheidung Zurlindens war also unsausbleiblich.
Der Soldat hätte darnach bei Zurlinden über den Menschen gesiegt. Das erscheint um so wunderbarer, wenn richtig ist, was sich die „Frankf. Ztg.“ von „zuverlässiger Seite“ melden läßt, daß nämlich General Zurlinden schon im vorigen Jahre während eines Besuches im Elsaß gegenüber Verwandten erklärt haben soll, er sei davon überzeugt, daß Dreyfus unschuldig ist.
Esterhazy selbst ist entwischt. Einem Gerücht zufolge ist Esterhazy in Wiesbaden. Zwei Herren, die ihn persönlich zu kennen vorgeben, wollen ihn, so meldet man der „Frankf. Ztg.“, in der Wilhelmstraße gesehen haben.
Wie der „Voss. Ztg.“ aus Wiesbaden gemeldet wird, findet das Gerücht Glauben, da eine an Major Esterhazy adressierte Sendung auf dem Wiesbadener Postamt eingegangen ist. Die Sendung ist unbestellbar, da die Wohnung Esterhazys unbekannt ist.
Picquart muß weiter im Gefängnis bleiben. Die Pariser Strafkammer beschloß die Ablehnung des Antrages auf Freilassung.
Sächsische Arbeiter-Zeitung (Dresden),
Nr. 214 vom 15. September 1898.