Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 820

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das Vermögen der Reichen unter sich aufteilen usw. Das ist alles albernes Geschwätz, und diejenigen, die das verbreiten, sind entweder Dummköpfe oder niederträchtige Lügner, die dem einfachen Volk Sand in die Augen streuen wollen.

Die Sozialisten denken gar nicht daran, die Welt auf den Kopf zu stellen, denn die steht bereits auf dem Kopf. Ist das denn keine verkehrte Ordnung, daß Millionen des einfachen Volkes vom Morgengrauen bis in die Nacht hinein im Schweiße ihres Angesichts arbeiten – ob in der Werkstatt, in der Fabrik, ob auf dem Acker oder in der Kohlengrube – und dafür kaum einen Bissen Brot und einen armseligen Winkel zum Wohnen haben? Die Herren Adligen und Fabrikanten dagegen, die ihr ganzes Leben keine Arbeit anrühren, stecken den Gewinn in ihre Tasche, fahren in Kutschen, trinken Champagner und wohnen in Palästen! Gerade die Sozialisten wollen die Welt wieder auf die Füße stellen und eine solche Ordnung einführen, damit diejenigen, die ehrlich arbeiten, für sich und ihre Familien ein reichliches Auskommen haben, die Müßiggänger jedoch, die sich an fremder Arbeit mästen wollen, nichts bekommen.

Ebenso belustigend sind jene, die erzählen, daß die Sozialisten das Familienleben abschaffen und eine allgemeine Sittenlosigkeit einführen wollen. Ist denn das Familienleben von Millionen Arbeiterfamilien nicht jetzt schon dadurch zerstört, daß die Frau und Mutter verdienen muß, daß sie keine Zeit hat, die Kinder zu beaufsichtigen, und oftmals nicht weiß, „womit sie sie ernähren und kleiden soll? Sind denn gegenwärtig nicht schon Hunderte armer Näherinnen in Posen gezwungen, einfach aus Not gewerbliche Unzucht zu treiben? Und wer ist daran schuld? Nicht die Sozialisten, sondern die Herren Fabrikanten und Konfektionäre, die den armen Mädchen für ihr ganztägiges Sitzen über der Nadel nicht einmal so viel bezahlen, daß es ihnen zum Leben reicht. Jawohl, die Sozialisten wollen gerade diese Ausbeutung abschaffen und jeder ehrlichen Frau ein reichliches Auskommen sichern, damit sie nicht zur Prostituierten wird!

Schließlich wollen die Sozialisten angeblich die Religion abschaffen! Wer diesem frechen Märchen glaubt, muß schon ziemlich dumm sein, denn niemand anderes schafft die Religion ab als so ein Bismarck und diejenigen, die zusammen mit ihm den Katholiken den Krieg erklärten. Die Sozialisten dagegen waren gerade aus diesem Grunde wie auch wegen anderer Gesetzwidrigkeiten die Todfeinde Bismarcks und seiner Kumpane und verkündeten immer und überall: Jeder halte an dem Glauben und an den Überzeugungen fest, die er für richtig erachtet, niemand hat das Recht, das menschliche Gewissen zu vergewaltigen! Der beste Beweis aber

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