Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 198

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/198

können aber die russische Regierung nicht von ihrem heutigen Wege abbringen; einstweilen sieht sie in der kapitalistischen Entwicklung Polens nur die Klasse der Bourgeoisie. Solange Rußland deshalb seine Herrschaft über Polen aufrechtzuerhalten sucht, solange wird auch der industrielle Flor in Polen im Programm der Regierung geschrieben stehen. Diejenigen also, die eine auf die ökonomische Absonderung Polens gerichtete Regierungspolitik gewärtigen, nehmen für Zukunftserscheinungen, was zur Vergangenheit gehört, und ihre ungenügende Kenntnis der bisherigen Geschichte für tiefere Einsicht in die zukünftige.

5. Die ökonomischen Interessen Rußlands im Orient

Von eminenter Bedeutung für die von uns behandelte Frage ist endlich auch die neue Richtung, welche in den letzten zehn Jahren in der russischen ökonomischen Politik dem Auslande gegenüber zutage getreten ist. Bis dahin ging nämlich die Bestrebung Rußlands darauf aus, seinen Bedürfnissen nach Fabrikaten und Rohmaterialien durch eigene Produktion zu genügen und sich von der auswärtigen Einfuhr zu emanzipieren. Heute gehen seine Bestrebungen weiter, heute will es sich bereits auf den Weltmarkt hinauswagen und selbst den anderen kapitalistischen Nationen auf fremdem Boden die Stirne bieten. Freilich rührt diese Tendenz nicht von der russischen Bourgeoisie selbst her; die eigenartige ökonomisch politische Entwicklung Rußlands hat es mit sich gebracht, daß die Politik hier vielfach aus eigenem Interesse die Initiative des ökonomischen Fortschritts ergreift.

Während in den meisten kapitalistischen Staaten die Industrie in dem Maße, wie es ihr in den Grenzen des inneren Marktes zu eng wird, die Regierung antreibt, neue Absatzmärkte durch Eroberungen oder durch Verträge zu erwerben, sieht in Rußland umgekehrt die Zarenpolitik in der industriellen Ausfuhr ein Mittel, die zur politischen Beute ausersehenen Länder Asiens zunächst in ökonomische Abhängigkeit von Rußland zu bringen. Während deshalb die russischen Industriellen zum größten Teil keinen Finger rühren, um einen Platz auf dem Weltmarkt zu erobern, spornt sie die Regierung unaufhörlich in dieser Richtung an. Alles wird ins Werk gesetzt, um den Fabrikanten Rührigkeit und Ausfuhrlust beizubringen: Ermahnungen, Aufforderungen, Expeditionen zur Erforschung neuer Absatzgebiete, die Errichtung kolossaler Eisenbahnen, wie die sibirische und die ostchinesische, Rückerstattung von Zöllen und Steuern beim

Nächste Seite »