Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 455

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Volk in Waffen, das unser Ziel ist, in eine auf alle tauglichen Bürger erstreckte allgemeine Wehrpflicht nach dem heutigen System des stehenden Heeres mit einer kurzen Dienstzeit. Angewendet auf alle Ziele unseres politischen Kampfes, führt die Schippelsche Auffassung geraden Weges zur Verzichtleistung auf das ganze sozialdemokratische Programm.

Das Schippelsche Eintreten für den Militarismus ist eine handgreifliche Erläuterung zu der ganzen opportunistischen[1] Strömung in unserer Partei und zugleich ein wichtiger Schritt in ihrer Entwicklung. Wir hörten auch früher schon von einem sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, von Heine, daß man unter Umständen der kapitalistischen Regierung militärische Forderungen bewilligen könne. Dies war aber bloß als ein Zugeständnis für höhere Zwecke der Demokratie gedacht. Die Kanonen sollten bei Heine wenigstens nur als ein Tauschgegenstand für Volksrechte dienen. Nun erklärt Schippel die Kanonen um der Kanonen willen für notwendig. Ist auch das Ergebnis hier wie dort das gleiche – nämlich die Unterstützung des Militarismus –, so beruht sie bei Heine wenigstens noch auf einer falschen Auffassung von der sozialdemokratischen Kampfweise, während sie bei Schippel einfach aus der Verschiebung des Kampfobjekts entspringt. Dort wurde nur statt der sozialdemokratischen die bürgerliche Taktik vorgeschlagen, hier wird dreist an Stelle des sozialdemokratischen das bürgerliche Programm gestellt.

In der Schippelschen „Milizskepsis“ hat die „praktische Politik“ ihre letzten Folgerungen gezogen. Weiter in der Richtung zur Reaktion kann sie nicht gehen, es bleibt ihr nur übrig, sich auf andere Programmpunkte auszudehnen, um den Rest des sozialdemokratischen Mantels, mit dessen Fetzen sie sich drapiert, abzulegen und in der ganzen klassischen Blöße als – Pfarrer Naumann[2] zu erscheinen.

III

[Wäre die Sozialdemokratie ein Diskussionsklub für sozialpolitische Fragen, so könnte sie den Fall Schippel nach einer theoretischen Auseinandersetzung mit ihm für erledigt erachten. Da sie aber eine politische Kampfpartei ist, so ist für sie durch den theoretischen Nachweis der Verkehrtheit

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[1] 2. Auflage: revisionistischen.

[2] Friedrich Naumann, evangelischer Theologe, Gründer des Nationalsozialen Vereins, versuchte auf kleinbürgerlich-reformerischem Weg mit sozialliberalen Phrasen die Arbeiterklasse mit dem imperialistischen Staat zu versöhnen. Er arbeitete eng mit dem Finanzkapital zusammen und hatte Verbindungen zu sozialreformerischen Führern der deutschen Sozialdemokratie.