Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 344

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wesens im Lande durch die Reichsbank stark vereitelt; denn erschwert sie den Kredit z. B., um das Gründungsfieber einzudämmen, so wenden sich die Unternehmer mit ihren Wechseln an die Privatnotenbanken und bekommen dort das erwünschte Geld. Die gegenwärtige Reichsbankvorlage verlangt, daß den Privatnotenbanken verboten wird, einen billigeren Kredit zu gewähren, als ihn die Reichsbank jeweils gibt. Auf diese Weise wird die Anarchie und die Planlosigkeit wieder auf diesem Punkte der Geldwirtschaft eingeengt und an ihrer Stelle die einheitliche Leitung vom Zentrum, von der Reichsbank, aus erweitert.

Hier haben wir eine glänzende Bestätigung unserer Auffassung von der allgemeinen Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft. Ein Gebiet nach dem andern in dieser Wirtschaft entwächst der Anarchie; das freie Schalten und Walten der Privatinteressen, das unbeschränkte Regieren des Privatprofits, wie es die kapitalistische Wirtschaft zu ihrer Grundlage, zu ihrem Evangelium proklamiert hat, erweist sich auf einer gewissen Stufe der Entwicklung als einfach unmöglich, unhaltbar, unverträglich sogar mit dieser kapitalistischen Wirtschaft selbst. Ein einheitlicher Plan, ein Überblick über das Ganze der Wirtschaft, eine Leitung des Getriebes von einem gleichfalls natürlich heranwachsenden Zentrum aus – das ist das eigene Ergebnis der kapitalistischen Wirtschaft. Und das letzte Ergebnis dieses Ergebnisses wird deshalb sein – gänzliche Aufhebung des Kapitalismus, dessen Anarchie endgültig unhaltbar wird, und Einführung des Planes und der einheitlichen Leitung in die ganze soziale Wirtschaft, d. h. die Vergesellschaftung des ganzen Produktions- und Austauschmechanismus.

Die jetzige Bankvorlage ist ein Ausdruck von zwei Tatsachen: erstens, daß die kapitalistische Wirtschaft sich äußerst rapid entwickelt, zweitens, daß sie sich namentlich nach der Richtung hin entwickelt, die zur Verwirklichung des sozialdemokratischen Ideals führt.

VIII Neue Ara in der kubanischen Zollpolitik

Mit dem 1. Januar ist auf der Insel Kuba endgültig an die Stelle der spanischen die Zollpolitik der Vereinigten Staaten getreten. Man war seit dem für Amerika siegreichen Ausgang des spanisch-amerikanischen Krieges[1] und seit der Annexion Kubas allgemein auf die von den Vereinigten Staaten einzuschlagende Zollpolitik gespannt. Würde die Union nun dem

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[1] Im Ergebnis des spanisch-amerikanischen Krieges von April bis Dezember 1898, des ersten imperialistischen Krieges um die Neuverteilung der Welt, verstärkten die USA ihren Einfluß in Lateinamerika, erweiterten ihr Kolonialreich durch Kuba, Puerto Rico und Guam und eroberten mit den Philippinen eine strategisch wichtige Militärbasis in Ostasien.