Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 738

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Das Aufsteigen des Arbeiterstandes in England

I

Leipzig, 16. Mai

Über dieses Thema, dem in der letzten Zeit soviel Aufmerksamkeit in Deutschland zugewendet wird, ist wieder ein äußerst umfangreiches, man kann hier wohl mit Lassalle sagen: ein „schwergelehrtes“ Buch erschienen.[1]

Die Nostitzsche Arbeit ist nicht eine genetische Untersuchung über die innere Triebfeder und Tendenzen der sozialen Geschichte der englischen Arbeiterklasse in den letzten Jahrzehnten, sondern vielmehr eine kompilatorische Zusammenfassung der äußeren Tatsachen des sozialen Fortschritts. Demokratisierung des Verfassungsrechts und des Parlaments, Wandlungen in dem Bildungswesen, Gewerkschaften und ihre Geschichte, Hilfskassen, Produktiv- und Konsumgenossenschaften, Arbeiterschutz, Arbeitslöhne, Arbeitszeit, Arbeitsstreitigkeiten, Wohnungsfrage und Arbeitslosigkeit – alle diese Kapitel werden der Reihe nach behandelt und mit Tatsachenmaterial belegt. Bei derartigen Werken spielt gewöhnlich der eigene Standpunkt des Verfassers eine geringe Rolle, und nur die Gewissenhaftigkeit und das Geschick in der Zusammenstellung und Bearbeitung des Stoffes pflegt für die Bewertung der Arbeit maßgebend zu sein.

Es wäre deshalb von geringerem Belang, welche parteipolitische Stellung Nostitz einnimmt, wenn er nur über ein gewisses Mindestmaß an Verständnis für das Wesen und die wichtigsten Merkmale der modernen sozialen Entwicklung verfügte, die er sich von gewisser Seite zu beleuchten vorgenommen hat. Denn diese ist selbst eine unumgängliche Voraussetzung der richtigen Darstellung des Tatsachenmaterials.

Es erscheint deshalb minder wichtig, wenn der Verfasser z. B. über die materialistische Geschichtsauffassung seine kritischen Bemerkungen zum

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[1] Hans v. Nostitz: Das Aufsteigen des Arbeiterstandes in England. Ein Beitrag zur sozialen Geschichte der Gegenwart, Jena 1900, 807 u. XXIII Quartseiten, Preis 18 M.