Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 777

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Für Herrn Sombart liegt darin freilich eine unerhörte Degradation der Gewerkschaften. Er seinerseits ist in der Lage, ihnen viel schmeichelhaftere Aussichten zu bieten. Aber ebensowenig wie die glattesten Höflinge die besten Ratgeber ihrer Fürsten, sind die freigebigsten Schmeichler die besten Freunde der Arbeiterbewegung. Und wenn Herr Sombart die Gewerkschaften über alle sozialen Schranken emporhebt und ihnen den kapitalistischen Himmel voller Geigen zeigt, so ist das gewiß sehr nobel von ihm; schade nur, daß er dies alles nicht anders als durch lauter alte und längst überwundene Irrungen und Wirrungen der Vulgärökonomie bekräftigen kann.

Übrigens gebührt Herrn Sombart auch die Ehre einer neuen nationalökonomischen Entdeckung, die seine Herren Kollegen zwar meistens aus der Praxis, aber nicht in dieser allgemeinen wissenschaftlichen Gültigkeit kannten, der Entdeckung nämlich, daß der Brautstand auch ein preisbildender Faktor ist.

II

Während Herr Sombart einerseits die wirtschaftliche Allmacht der Gewerkschaftsbewegung nachweist, stellt er andererseits als Bedingung dieser Allmacht: die Emanzipierung der Gewerkschaften von der „Vormundschaft“ der Sozialdemokratie.

Zwar hat die Sozialdemokratie die Gewerkschaften selbst ins Leben gerufen und sie stets gepflegt, unterstützt und geschirmt. Allein Herr Sombart weiß trotz alledem, daß sie zu der Sache der Gewerkschaften stets nur mit einem halben Herzen stand und sogar die Entwicklung der Gewerkschaften direkt „aufgehalten hat“. Denn „eine politische Partei, die ihre Aufgabe nur darin erblickte, alle Vorbereitungen zu treffen, damit im großen Moment des Zusammenbruchs der bürgerlichen Welt die sozialdemokratischen Jungfrauen das Öl auf ihren Lampen hätten: eine solche konnte auch in jeder gewerkschaftlichen Organisation günstigstenfalls immer nur eine Art von Drillschule der Arbeiterbataillone für die bevorstehende Schlacht erblicken. Günstigstenfalls, während sie sehr häufig die Gewerkvereinsbewegung als Feindin ihrer Sache betrachten mußte.“ (S. 60.) Eine solche Partei kann einfach „die innere Ruhe“ nicht haben, die zum Ausbau der Gewerkschaften erforderlich ist (S. 64). Und wenn Marx schon in der Internationale die Sache der Gewerkschaftsbewegung systematisch förderte, so weiß Herr Sombart dies nicht aus der Einsicht Marxens in ihren Nutzen für die Arbeiterklasse, sondern aus anderen Motiven zu erklären.

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