Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 803

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VIII Rede über die Stellung der Sozialdemokratie zur Scbutzzollpolitik

[1]

Das meiste von dem, was der Referent[2] vorgebracht hat, steht in so schroffem Widerspruch zu dem, was als offizielle Meinung der Partei in Stuttgart festgelegt ist[3], daß wir eigentlich einen Korreferenten hätten bekommen müssen. Leider ist es bei der Kürze der Zeit nicht möglich, alle seine Ansichten zu widerlegen. Ich kann mich nur auf wenige Punkte beschränken, um die Verkehrtheit des Calwerschen Standpunktes darzutun. Vor allem ist es mir zum erstenmal passiert, daß ich einen Referenten gegen seine eigene Resolution sprechen höre. („Sehr richtig!“) Er hat hier für die Schutzpolitik plädiert, während sich seine Resolution dagegen ausspricht. Er fordert in der Resolution die Ablehnung aller Zölle und aller Zollerhöhungen auf Lebensmittel, die möglichste Beseitigung, eventuell Herabsetzung der bisherigen Zollsätze bei der Neugestaltung des Zolltarifs, die Verwerfung aller zollgesetzlichen Maßnahmen, die einen engeren handelspolitischen Anschluß Deutschlands an andere Staaten erschweren. Und das fordert ein Genosse, der hier zugleich eine Rede gegen die Meistbegünstigungsklausel hält. Entweder wußte er nicht mehr, was er in der Resolution geschrieben hat, oder er hat sich an ein Thema herangewagt, das er nicht beherrscht. (Unruhe.) Jeder, der etwas von der Zollpolitik versteht, weiß, daß die Meistbegünstigungsklausel das erste und wichtigste Erfordernis des freien Handelsverkehrs ist. Seit der Ära der freien Handelspolitik ist die Meistbegünstigungsklausel der Grundsatz aller Handelsverträge, und gerade dank dieser Klausel hatte sich der Freihandel verhältnismäßig so schnell verbreitet. Wenn wir nun gegen die Meistbegünstigungsklausel sind, so binden wir uns damit schon ohne weiteres für den Schutzzoll, und wir würden, wenn wir Calwer folgten, nicht nur von unserem bisherigen Standpunkte abschwenken, sondern zu unserer größten Schande noch hinter den linksstehenden bürgerlichen Parteien zurückstehen. Calwer hat den Vorschlag gemacht, wir müßten gegenüber den bürgerlichen Freihändlern die Führung in dem bevorstehenden Kampfe um die Handelspolitik übernehmen; ich verstehe aber nicht, wie man jemand führen will, hinter dem man steht. Will man führen, so muß man

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[1] Redaktionelle Überschrift.

[2] Richard Calwer sprach über „Die Verkehrs- und Handelspolitik“.

[3] Der sozialdemokratische Parteitag vom 3. bis B. Oktober 1898 in Stuttgart hatte in der Resolution zur Zoll- und Handelspolitik die Schutzzollpolitik verurteilt und empfohlen, bei der Erneuerung von Handelsverträgen jeden Schritt im Sinne der Verkehrsfreiheit zu unterstützen.