Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 326

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Wirtschaftliche und sozialpolitische Rundschau

[1]

I Glänzende Kolonialpolitik

Die Reichsregierung hat offenbar ihren Kolonienappetit noch lange nicht gestillt, und es dürfte nicht lange währen, bis wir durch die Nachricht erfreut werden, daß unsere „Schutzgebiete“ durch den Erwerb der Karolinen-Inseln erweitert worden sind.[2] Was der neue Erwerb für das arbeitende Volk bedeuten würde, das ist aus den bisherigen kolonialpolitischen Experimenten Deutschlands einleuchtend genug. Der Etat der Schutzgebiete für das Jahr 1899 liefert wieder ein glänzendes Bild dieser Politik. Danach stellen sich die Einnahmen und der erforderliche Reichszuschuß für die Kolonien folgendermaßen dar: 1. das Schutzgebiet der Neu-Guinea-Kompagnie: Einnahmen 75 000 M, Reichszuschuß 657 000 M; 2. Togo: Einnahmen 804 000 M, Reichszuschuß 254 000 M; 3. Kamerun: Einnahmen 730 000 M, Reichszuschuß 983 400 M; 4. Südwestafrika: Einnahmen 600 000 M, Reichszuschuß 7 Millionen M; 5. Kiautschou: Einnahmen 0, außerordentliche Ausgabe 81/2 Millionen M. Somit betragen die Einnahmen aus den Kolonien zusammengenommen ca. 2 Millionen 200 000 M, die Ausgaben aber ca. 17 Millionen 400 000 M. Wofür werden aber diese riesigen Summen verwendet? Fast ausschließlich für Verwaltungskosten und Erhaltung der Schutztruppen! Der ganze Widersinn der deutschen Kolonialpolitik kommt darin zum krassen Ausdruck: Es werden Länder in fremden Weltteilen erworben, die nicht nur nichts einbringen, sondern viele Millionen aus der Tasche der Steuerzahler verschlingen, nur um der nackten Aufrechterhaltung der Herrschaft willen!

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[1] Diese Rundschau ist mit „ego“ gezeichnet. Aus Briefen vom 28. und 30. November 1898 an Leo Jogiches geht hervor, daß Rosa Luxemburg die Verfasserin ist. (Siehe GB, Bd. 1, S. 235 u. 237.)

[2] Im Vertrag vom 12. Februar 1899 wurde Spanien, das im Krieg gegen die USA eine Niederlage erlitten hatte, gezwungen, die Karolinen-, Papua- und Marianen-Inseln gegen eine finanzielle Entschädigung von 17 Millionen Mark an Deutschland abzutreten.