Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 534

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/534

Rückgrat gebrochen wird“, als eine sehr ernste betrachtet werden. Und dazu gehört kein bloßes Gefallen an Schwarzseherei, an warnenden Kassandrarufen. Zwar ist unsere Bewegung in demselben Jahrzehnt, das das allmähliche Umsichgreifen des Opportunismus gezeitigt hat, nicht nur nicht bergab gegangen, sondern hat sich mächtig emporgerichtet und gefestigt. Aber wenn Vollmar in Stuttgart darauf mit den Worten hinwies: „Außerdem ist die Wiederholung (der Warnungen vor der opportunistischen Gefahr – R. L.) auch ganz nutzlos, denn die Partei hat sich unbeirrt weiter zu ihrer jetzigen Höhe und Reife hinauf gesumpft [Hervorhebung – R. L.]“[1], so hatte er sicherlich am allerwenigsten Anlaß, darüber zu triumphieren.

Nicht dank dem Evangelium der sogenannten praktischen Politik, sondern trotz ihm ist unsere Bewegung groß und stark geworden. Nur weil sie sich jedesmal gegen die opportunistischen Anwandlungen kräftig zur Wehr setzte, nur weil sie die Vollmarsche Taktik des „neuen Kurses“, seine Budgetabstimmung[2], sein Agrarprogramm[3] usw. konsequent ablehnte, konnte die Partei das leisten, was sie geleistet hat. Hätte sie die Anschauungen der „praktischen Politik“ zur Richtschnur ihrer gesamten Tätigkeit bis jetzt gemacht, so würde sie weder die 21/4 Millionen Stimmen noch überhaupt die Bedeutung erlangt haben, die ihr jetzt im politischen Leben Deutschlands allgemein zuerkannt wird.

Daraus ergibt sich aber der logische Schluß, daß auch fernerhin das Wachstum und die Stärke der Bewegung davon abhängen, ob die Partei die nötige Energie in der Bekämpfung des Opportunismus findet.

VI Mittel der Abhilfe

Es ist klar, daß die Stellungnahme der Partei vor allem in einer entsprechenden Resolution ebenso zu Punkt 6 wie zu Punkt 7 der Tagesordnung des Parteitages ausgedrückt werden muß. Dabei wäre es jedoch unseres Erachtens ganz zweckwidrig, sich auf eine vielerorten vorgeschlagene Fassung zu beschränken, wonach die Partei etwa erklärt, daß sie „keinen Grund sieht, von ihrer bisherigen Taktik abzugehen“. Eine solche Resolution würden auch Bernstein, Schippel und alle ihre Anhänger ruhig unter-

Nächste Seite »



[1] Protokoll des Parteitages in Stuttgart, 1898, S. 105. [Fußnote im Original]

[2] Am 1. Juni 1894 hatte die sozialdemokratische Fraktion des bayrischen Landtags unter Führung Georg von Vollmars dem Budget zugestimmt und damit erstmals das von August Bebel aufgestellte Prinzip der revolutionären Sozialdemokratie „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen“ durchbrochen.

[3] Georg von Vollmar trat für die Erhaltung des Kleinbetriebes in der Landwirtschaft ein und schlug entsprechende Reformen vor, die vom junkerlich-bürgerlichen Staat in Zusammenarbeit mit der Sozialdemokratie durchgeführt werden sollten.