Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 533

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den Unabhängigen – wenigstens bis ihr Schiff leck wurde – lebhaft sympathisierte, ferner als ständigen Schirmherrn des Genossen Schippel und aller in Verlegenheit geratenen „praktischen Politiker“ denselben Genossen Auer, der in Erfurt für die Annahme des Oertelschen Antrags so überzeugend plädierte. Vollmar kann jetzt eine ansehnliche Reihe von Namen als seine Eroberungen aufzählen, in welcher Leporelloliste Genosse Bernstein nur als die letzte Schönheit von den „Tausendunddrei“ figuriert.

Allein nicht nur die Qualität ist hier wichtig. Festgestellt muß vor allem werden, daß gerade diejenigen Genossen, die sich für die sogenannte praktische Politik erwärmen, eine ganze Reihe von wichtigsten Parteiposten einnehmen, was ihren Ansichten auch eine ausgedehnte Anwendung und Verbreitung sichert, sie haben nämlich eine Anzahl von Parteiblättern als Redakteure und eine Anzahl von parlamentarischen Tribünen als Reichstags- und Landtagsabgeordnete inne. Gerade dort also, wo der eigentliche Parteikampf nach zwei Fronten – gegen die Regierung und die herrschenden Klassen sowie für Aufklärung der Arbeitermassen – geführt wird, in der Presse und in der Volksvertretung sind die Anhänger der opportunistischen Taktik am stärksten vertreten.

Dieser Umstand ist es, der ihnen zu ihrer Stärke so unverhältnismäßig Einfluß und Bedeutung verschafft. Als Abgeordnete und Redakteure können sie gewissermaßen die hinter ihnen stehenden Proletariermassen „repräsentieren“, wenn auch, wie dies meistens der Fall ist, im direkten Gegensatz zu den Absichten und Überzeugungen dieser Massen. Sie können aber auch ferner auf die Massen einen nachhaltigen und unkontrollierbaren Einfluß ausüben und sie im Sinne ihrer Ansichten direkt erziehen, was besonders von den zur Partei neuhinzutretenden jungen und ungeschulten Elementen aus der Arbeiterschaft gilt. Dabei ist zu beachten, daß wir, gerade jetzt darauf angewiesen sind, immer mehr nicht nur rein proletarische, sondern auch die kleinbürgerlichen Elemente anzuwerben, diesen sind aber die Ansichten der opportunistischen Redakteure und Abgeordneten gerade aus dem Herzen gesprochen, so daß die ausgestreute Saat auch auf einen von vornherein günstigen Boden fällt.

Endlich sehr beachtenswert ist der Umstand, daß die bei weitem überwiegende Mehrheit der „praktischen Politiker“ lauter junge Leute sind, die den eigentlichen Nachwuchs der Partei bilden und als Redakteure und Parlamentarier etwa in zehn bis fünfzehn Jahren das große Wort in der Bewegung zu führen berufen sind.

Faßt man alle diese Tatsachen zusammen, so muß die Gefahr, daß der sozialdemokratischen Bewegung über kurz oder lang, wie Bebel sagt, „das

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