Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 327

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Die Arbeiterklasse hat viele andere, tiefere Gründe als bloß finanzielle Rücksichten gegen die Kolonialpolitik: Sie sieht darin die kräftigste Stütze des Marinismus und des Militarismus, der reaktionären inneren Politik, ferner der Völkerfeindschaft, der internationalen Reibungen und Kriege, sie verurteilt endlich in der Kolonialpolitik prinzipiell die gewaltsame Beherrschung fremder Länder und fremder Völker. Aber auch die Kolonialpolitik hat ihre zwei Seiten. Die ehemalige englische und holländische Kolonialpolitik hatte wenigstens vom rein kapitalistischen Standpunkt einen Sinn, sie hatte vor allem Produktions- und Handelsinteressen des Landes im Auge. Und obwohl die Arbeiterklasse gegen jede Kolonialpolitik von ihrem Klassenstandpunkte entschieden Front machen muß, so ist doch speziell die deutsche geradezu eine Parodie sogar vom kapitalistischen Standpunkt, sie findet nicht einmal in den Profitinteressen des Unternehmertums oder des Staates ihre begrenzte historische Berechtigung. Sie ist eine reine Verschwendung der Reichsmittel, eine Kolonialpolitik um der Kolonialpolitik willen, ein Ausfluß der Bestrebung, aus Deutschland durchaus und um jeden Preis eine Weltmacht zu machen und in Weltpolitik um die Wette mit anderen, alten Kolonialmächten zu spielen. Gegen diese kostspieligen und verderblichen Gelüste muß sich die Arbeiterklasse mit aller Energie und bei jeder Gelegenheit wehren. Wo die Mittel für die geringste Sozialreform zum Wohle der arbeitenden Masse, für alle Kulturaufgaben fehlen, da darf das Volk nicht mit gleichgültigem Auge die Verschwendung enormer Mittel für Weltpolitikphantasien ansehen; es erwächst für das Volk[1] die Pflicht, im eigenen Interesse vor allem die Dinge auf dem Gebiete der Kolonialpolitik sehr aufmerksam zu beobachten und gegen jede neue in Sicht stehende Gebietserweiterung, wie gegenwärtig mit den Karolinen geplant wird, laut und eindringlich zu protestieren.

II Zur Verelendungsfrage

In der letzten Zeit wurde bekanntlich in unseren Reihen die Meinung ausgesprochen, die alte, von Marx und Engels im Kommunistischen Manifest in den Grundzügen formulierte Taktik der Sozialdemokratie und vor allem ihr Glaube an einen bevorstehenden Zusammenbruch der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung sei unter anderem auch deshalb unstich-

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[1] In der Quelle: sie.