Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 658

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III

Leipzig, 20. Dezember

Die natürliche Tendenz der sozialistischen Einigung in Frankreich muß die Einigkeit, die Verschmelzung aller Einzelgruppen in der Gesamtpartei sein. Nur wenn die gegenwärtige Einigung dazu führt, erfüllt sie ihre wirkliche Aufgabe.

Aber die Einigkeit muß sich aus ihr gleichfalls als natürliches Produkt ergeben. Eine plötzliche Auflösung der alten Parteiorganisationen würde heute das Einigungswerk zerstören und nicht beschleunigen. Die heterogenen Elemente müssen erst allmählich zur gemeinsamen grundsätzlichen Auffassung und zu gleicher Taktik erzogen werden.

Und dies kann nur der politische Kampf selbst im Laufe der Zeit vollbringen. Wie die praktischen Aufgaben die Einigung notwendig gemacht und herbeigeführt haben, so werden sie im weiteren die mechanisch zusammengebundenen Teile auch organisch immer mehr zusammenschweißen. Die gemeinsame Auffassung wird aus der gemeinsamen Aktion als natürliches Ergebnis hervorgehen.

Damit diese Aktion ihrerseits möglich werde, war die Herstellung gewisser Bedingungen, wie Verständigung im Parlament, gemeinsame Exekutive, periodische Beratung aller Gruppen, Kontrolle über die Presse und über die parlamentarische Fraktion, notwendig.[1] Dies war in den gegebenen Verhältnissen die einzige Aufgabe des Einigungskongresses, und diese hat er in vollkommener Weise gelöst. Die weitere Erstarkung und Entwicklung der gemeinsamen Organe auf Kosten der Sonderorganisationen ist Frage der politischen Verhältnisse in Frankreich.

Vom sozialdemokratischen Standpunkt ist das Werk des französischen Einigungskongresses ein epochemachendes Ereignis.

Vor allem ist die Zusammenfassung aller sozialistischen Gruppen zur gemeinsamen Aktion an sich ein spezifisch sozialdemokratischer Fortschritt. Wie das auf das gesamte internationale Proletariat berechnete sozialdemokratische Programm in seinem ganzen Umfang nicht von einer einzelnen nationalen Arbeiterklasse verwirklicht werden kann, so kann es noch viel weniger von einer einzelnen Gruppe innerhalb eines nationalen Proletariats ins Werk gesetzt werden.

Vom Standpunkte der anarchistischen oder der utopistischen Auffassung des Sozialismus, die in der Propaganda des Endziels das Hauptmittel zu seiner Verwirklichung erblickt, besteht zwischen einer Einzelgruppe und

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[1] Es hätte dahin vielleicht auch noch eine Maßnahme, die sozialistische Doppelkandidaturen abschaffte, um die gemeinsame Wahlaktion zu ermöglichen, gehören sollen. [Fußnote im Original]