Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 476

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land und anderen Ländern des Kontinents, sondern ein ganz eigentümliches, kompliziertes System der Bearbeitung und Beeinflussung bürgerlicher Parlamentarier ohne Unterschied der Parteistellung, Kuhhandel, Wandelgang- und Hintertreppenpolitik ohne jeden prinzipiellen und Klassencharakter, wie sie besonders bei den Baumwollspinnern und -webern zur vollen Ausbildung gelangte.[1] Gerade diesen Mitteln verdanken die Gewerkschaften ihre größten gesetzgeberischen Erfolge. Wie sehr umgekehrt ein mehr klassenbewußtes Verhalten für die praktischen Erfolge hinderlich war, zeigen die Schwierigkeiten, mit denen die Bergarbeiterföderation zu kämpfen hatte.[2]

Im Zusammenhang mit der so gerichteten Tätigkeit sehen wir den Aufbau und den ganzen Charakter der englischen Gewerkschaften in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts sich ändern. Von den „nichtverantwortlichen Enthusiasten und Agitatoren“ geht die Führerschaft der Bewegung auf „eine Klasse ständiger, bezahlter Beamten“ über, die zuweilen sogar auf Grund einer regelrechten Schulprüfung angestellt werden.[3] Aus einer Schule der Klassensolidarität und sozialistischer Sittlichkeit wird die Gewerkschaftsbewegung zum Busineß, zum Geschäft, die Gewerkschaft wird zu einem äußerst komplizierten Kunstwerk, einem zu dauernder Existenz behaglich eingerichteten Wohnhaus, und in der ganzen Arbeiterwelt jener Epoche herrscht „ein Geist vorsichtiger, wenn auch etwas beschränkter Staatsmannschaft“.

II

Leipzig, 10. Mai

Ökonomisch und politisch und auch moralisch standen, wie wir im ersten Artikel gesehen, in England seit den 50er Jahren die Arbeiter und die Bourgeoisie auf gleichem Boden. „Sie (die Führer der Trade-Unions) nahmen in völlig gutem Glauben den ökonomischen Individualismus ihrer bürgerlichen Gegner hin und beanspruchten nur jene Freiheit, sich zu verbinden, die die aufgeklärteren Mitglieder jener Klasse ihnen zu gewähren bereit waren ... Ihr Verständnis für die Denkweise des Bürgertums und ihre Würdigung der tatsächlichen Schwierigkeiten der Lage schützten sie davor, bloße Demagogen zu sein ... Der Besitz guter Manieren war, obwohl es als triviale Kleinigkeit erscheinen mag, nicht der geringste ihrer

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[1] Webb: Theorie und Praxis der englischen Gewerkschaften, I, S. 230 ff. [Fußnote im Original]

[2] Ebenda, S. 234. [Fußnote im Original]

[3] Webb: Geschichte der Gewerkvereine, S. 163. [Fußnote im Original]