Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 712

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/712

wirtschaftlichen Produkte. Er dient also gar nicht zum Schutze der Landwirtschaft, er trägt nicht einen nationalen, sondern einen reinen Klassencharakter.

Dies allein genügt, um der Masse des arbeitenden Volkes das reaktionäre Wesen der agrarischen Zollbestrebungen klarzumachen. Sie bezwecken nichts anderes, als das Junkertum für die unabwendbaren Folgen der modernen Entwicklung der Weltwirtschaft auch in der Landwirtschaft schadlos zu halten – auf Kosten der konsumierenden Volksmasse.

II

Leipzig, 24. April

Der agrarische Schutzzoll ist, wie wir gesehen haben, nicht auf die Erweiterung oder Hebung der Landwirtschaft als solcher, sondern bloß auf die Hebung der Preise für landwirtschaftliche Produkte gerichtet. Ob und wie weit dieser Zweck von dem Schutzzoll erreicht wird, ist eine Frage, auf die die Ergebnisse des gegen Rußland 1892-1894 geführten Zollkrieges die beste Antwort geben.

Als im Jahre 1892 durch differentielle Behandlung Rußlands der Zoll für russisches Getreide 50 M, im Jahre 1893 sogar 75 M betrug, da war der Zweck dieser Maßregel offenbar der, der russischen Einfuhr einen Schlag zu versetzen und das deutsche Getreide vor ihrer preisdrückenden Konkurrenz zu schützen. Was war aber das Ergebnis? Daß die deutschen Preise zwei- bis dreimal stärker fielen als die russischen. Der Preisrückgang für Weizen betrug nämlich von 1891 bis 1893 in Berlin 72,67 M, in Königsberg 78,50 M, dagegen 1891-1894 in Odessa bloß 35,20 M, in St. Petersburg 22,40 M, in Riga 20,10 M.

Der Schlag, der gegen Rußland geführt werden sollte, ist nämlich auf die deutschen Agrarier zurückgefallen. Und dies aus einem zweifachen Grunde. Erstens wird der Preis des russischen Getreides nicht auf dem deutschen Markte, sondern auf dem Weltmarkte bestimmt. Abgestoßen von Deutschland, ist das russische Getreide in verstärktem Maße nach England und den skandinavischen Ländern ausgeboten worden. Gerade dieser Druck des russischen Getreides hat auf dem Weltmarkt eine starke Preisherabsetzung herbeigeführt, der auch die deutschen Märkte gern oder ungern folgen mußten.

Ferner aber hatten sich die deutschen Agrarier durch den Zollkrieg mit Rußland ebenso die gewinnreiche Ausfuhr besserer Sorten Weizen aus Ostpreußen nach dem Auslande wie einen guten Absatz geringerer

Nächste Seite »