Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 274

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Zweierlei Kompensationspolitik

Leipzig, 1. Dezember

Genosse Auer fragt in seiner hier schon besprochenen Entgegnung auf Haenisch im Hinblick auf das bekannte Engelssche Zitat (in dem Dampfersubventionsstreite[1]):

„Steckt in dem Vorschlag Kompensationspolitik à la Heine[2] oder nicht?“ Und er antwortet selbst: „Nur ein Unzurechnungsfähiger könnte dies leugnen.“[3][Hervorhebung – R. L.]

Das Gegenteil ist richtig; es handelt sich um zwei durchaus wesensungleiche Dinge. Grundverschieden ist vor allem das Objekt, um das es sich in jedem der beiden Fälle handelt. Engels bespricht die Spaltung der Sozialdemokratie bei der Frage der Dampfersubvention. Man mag nun diese Frage so oder anders beurteilen, jedenfalls handelt es sich hier um eine staatliche Unterstützung kapitalistischer Interessen. Grundsätzlich gegen die Förderung der kapitalistischen Entwicklung kann die Sozialdemokratie schon aus dem Grunde nicht sein, weil sie vielmehr selbst auf dem Boden dieser Entwicklung fußt und aus ihr ihre Lebenssäfte zieht. Die Stellung der Sozialdemokratie kann hier also nur durch jeden einzelnen Fall bestimmt werden. Und zwar richtet sie sich im allgemeinen nach dem Umstand, ob die Unterstützung des Kapitalismus im gegebenen Falle zugleich einen allgemeinen kulturfördernden Charakter trägt (Verwen-

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[1] Friedrich Engels hatte im Dezember 1884 entschieden den Beschluß der Mehrheit der Reichstagsfraktion verurteilt, privaten Schiffahrtsgesellschaften Zugeständnisse zu machen, und vorgeschlagen, statt dessen an die Zustimmung zur Subvention solche Bedingungen zu knüpfen, die für die Regierung unannehmbar sind, um auf diese Weise die volksfeindliche Politik zu entlarven. Dieser Streit endete 1887 mit einem Sieg der revolutionären Kräfte, die erstmalig in der deutschen Sozialdemokratie eine marxistische Stellung zur Kolonialpolitik erarbeiteten.

[2] Wolfgang Heine hatte in einer Rede am 10. Februar 1898 im dritten Berliner Reichstagswahlkreis die Auffassung vertreten, die Sozialdemokratie könne einer preußisch-junkerlichen Regierung Militärforderungen im Gegenzug für „Volksfreiheiten“ bewilligen.

[3] Leipziger Volkszeitung, Nr. 275 vom 28. November 1898.