Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 487

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-1/seite/487

Hohle Nüsse

Leipzig, 22. Juli

Börne sagt einmal, ihm sei jedesmal, wenn er die Schriften seiner offiziösen Bekämpfer lese, wie einem, der hohle Nüsse knackt. Mit einem ehrlichen Kraftaufwand mache er sich jedesmal anheischig, die offiziöse Nuß zu knacken, die Zähne führen aber unerwartet ohne Widerstand heftig aufeinander, die Nerven erzitterten, und im Munde bleibe nur der widrige Geschmack von – Würmern. Ähnliches widerfährt demjenigen, der jetzt die unzähligen Schriften, Broschüren und Artikel über die „Krisis im Marxismus“ liest, die es in den letzten Monaten geradezu regnet wie Nüsse bei starkem Winde.

Mit ganz besonderem Aufputz tritt im neuesten Hefte der Conradschen Jahrbücher ein frischgebackener Dr. Simkhowitsch auf die Bühne. Er zitiert auf den 60 Seiten seines Opus „Die Krisis der Sozialdemokratie“[1] alle älteren und neueren Schriften des Marxismus, beruft sich auf die meisten Philosophen der beiden letzten Jahrhunderte, läßt für sich Gewährsleute aller lebendigen und toten Sprachen schwören, deklamiert dazwischen Gedichte, und all diese Philosophen, Gelehrten und Dichter beweisen bei ihm mit erdrückender Kraft, daß Marx´ Lehren samt und sonders vom Leben und von der Wissenschaft längst in allen Punkten zum alten Eisen geworfen worden sind.

Das eigene „wissenschaftliche“ Niveau dieses jüngsten Überwinders des Marxismus, der aus New York seine tödlichen Pfeile abschnellt, aber offenbar auf einer deutschen Universität verdummt wurde, charakterisiert wohl genügend der eine Satz: „Karl Marx´ ... großer Fehler war, daß er ein System nicht zur Feststellung des sozialen Sollens, sondern zur Erklärung

Nächste Seite »



[1] Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. Hrsg. von J. Conrad, III. Folge, 17. Bd., 6. Heft, S. 721-781.