Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 512

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Die „bayerischen Verhältnisse“

Die „Fränkische Tagespost“ beantwortet in einem Leitartikel vom 9. September und die „Münchener Post“ in einer politischen Rundschau vorn 12. September unsere Ausführungen über die bayerische Wahlabmachung[1].

Wir haben schon auf die beunruhigende Fülle und Mannigfaltigkeit der glänzenden Erfolge, die durch dieses Wahlmanöver erzielt worden sind, aufmerksam gemacht. Nun stellt es sich aber heraus, daß uns bei weitem noch nicht alle Erfolge verraten worden sind und daß man die bayerischen Genossen nur ein bißchen anzutippen braucht, damit sie nach und nach immer triftigere Gründe für ihr Kompromiß enthüllen. Die „Fränkische Tagespost“ verrät uns nämlich einen ganz neuen: Die sozialdemokratische Fraktion kann nun dank ihrer Verstärkung einen Vertreter in den Finanzausschuß wählen, dieser ist aber „die Seele des Landtags“.

Wenn jemand bis jetzt noch nicht von der Unerläßlichkeit des Kuhhandels mit dem Zentrum felsenfest überzeugt war, nun muß er es endlich werden. Ein Sozialdemokrat im Finanzausschuß, dieser Seele des Landtags, war das etwa nicht den Kompromiß mit dem Zentrum wert? Allerdings, nur muß uns dabei die Bescheidenheit der bayerischen Genossen wundern. Denn auf demselben Wege des Kompromisses kann man ja bedeutend weiter als bis zum Finanzausschuß, ja man kann sicher bis zum Finanzministerium, dieser „Seele der Regierung“, vordringen. Hat man mit dem Zentrum ein Kompromiß abgeschlossen, so kann man ebensogut eins mit der Regierung abschließen; die bayerische Regierung ist wenigstens in der Frage der Wahlrechtsreform jedenfalls fortschrittlicher und zuverlässiger als das Zentrum.

Aber das Zentrum, ruft die „Fränkische Tagespost“, hätte ja auch ohne

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[1] Siehe Rosa Luxemburg: Die „bayerischen Verhältnisse“. In: GW, Bd. 1/1, S. 497–504.