Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.1, 8., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2007, S. 668

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Die Halben und die Ganzen

[1]

Leipzig, 20. Januar

Ein lustiger Frosch-Mäuse-Krieg spielt sich jetzt zwischen den Nationalliberalen und dem Bunde der Landwirte ab. Den Anstoß dazu hat die Haltung der Nationalliberalen gegenüber der Hohenlohischen Regierung gegeben, der sie bei der letzten agrarischen Attacke ihr Vertrauen ausgesprochen haben[2].

Dafür wurden die ungetreuen Schildknappen der Agrarier auf der hannoverschen Provinzialversammlung des Bundes der Landwirte mit der dem Junkertum eigenen Derbheit gerüffelt. Ihrerseits antwortete darauf die westpreußische nationalliberale Parteiversammlung in Bromberg mit einem selbstverständlich viel weniger temperamentvollen und kräftigen Protest. Der Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, Dr. Krause, beteuerte zwar das weitgehende Verständnis seiner Partei für die Interessen der notleidenden Landwirtschaft, fügte dann aber hinzu:

„Freilich eine demagogische Agitation, wie sie oft von der Berliner Leitung des Bundes der Landwirte ausgeht, die Andersdenkende verketzert und selbst den Kaiser nicht verschont, machen wir nicht mit. Wenn von jener Seite versucht worden ist, die Kandidaten bei den Wahlen auf bestimmte Punkte festzulegen, sie als Vertreter eines Standes zu binden, so bedeutet das einen Bruch der Verfassung; diese Art kann nicht zum Guten des Vaterlandes ausschlagen. Der Bund scheint sogar der Flottenvermehrung Schwierigkeiten bereiten zu wollen. Das Organ des Bundes

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[1] Dieser Artikel ist mit einem Anker gezeichnet, dem gleichen Zeichen wie die Artikel „Nur ein Menschenleben“ (siehe GW, Bd. 1/1, S. 467–470), „Die ‚Unverschämten‘ an der Arbeit“ und „Nochmals die ‚Unverschämten‘“ (siehe ebenda, S. 626–628 u. 638–641), als deren Verfasserin eindeutig Rosa Luxemburg durch Briefe an Leo Jogiches festgestellt werden konnte.

[2] Im Reichstag hatten am 12. Dezember 1899 die Konservativen dem Reichskanzler vorgeworfen, er unterstütze mit seiner Politik nur die Entwicklung der Industrie und berücksichtige nicht die Interessen der Junkers Diese Angriffe kamen einem Mißtrauensvotum gleich. Den Konservativen trat am 13. Dezember der Abgeordnete Karl Sattler im Namen der Nationalliberalen entgegen und sprach dem Reichskanzler das Vertrauen aus.